Besucher vor dem Rothko-Bild „No. 13 (White, Red on Yellow)“ in der Pariser Fondation Louis Vuitton.
Bild: dpa
Ist es überhaupt möglich, die Gemälde von Rothko heute so zu erleben, wie sie ursprünglich gedacht waren? Eine spektakuläre Retrospektive in Paris liefert die Antwort darauf.
Der amerikanische Kunstkritiker Harold Rosenberg fasste die Endphase streng modernistischer Kunst in den 1960er-Jahren in einem berühmten Witz über den Abstrakten Expressionismus zusammen. Er sagte, dass der für seine straffen Leinwände mit Farbflächen und vertikalen „Reißverschlüssen“ berühmte Künstler Barnett Newman die Tür schloss, Mark Rothko – mit seinen quer aufgeteilten Hochformaten – die Jalousien herunterließ und Ad Reinhardt – mit seinen äußerst abstrakten Bildern aus schwarzen Farbschichten – das Licht ausknipste.
Kein verborgenes Versprechen
Abstrakter Expressionismus präsentierte sich als reine Malerei und zugleich als Ersatzreligion – bis ihre Gebote nicht mehr befolgt wurden. Die neuen Bewegungen von Pop-, Minimal- und Konzeptkunst verstanden sich als Offensive gegen die Imperative der abstrakten Malerei wie Antiillusionismus oder Hierarchielosigkeit des Bildes. Sie entstanden als Reaktion auf die als unüberbrückbar erfahrene Kluft zwischen der Malerei und den nun die Realität beherrschenden Bildindustrien von Hollywood und Werbung in der Madison Avenue. Diese neuen Ansätze wollten Kunst auf die zeitgeschichtlichen, politischen, wirtschaftlichen und materiellen Bedingungen beziehen, unter denen ein Kunstwerk entsteht. Ihnen ging es nicht mehr darum, dass das Werk Präsenz herstellt und verlangt, was in der Kunstgeschichte als Versunkenheit bezeichnet wird. Die transzendentale Leere und das Erhabene boten kein verborgenes Versprechen und keine Offenbarung mehr.