Als Wolodymyr Selenksyj am Donnerstag im Weißen Haus eintraf, hatte er den schwierigsten Teil seines Besuchs in der amerikanischen Hauptstadt schon hinter sich. Im Oval Office versicherten sich der ukrainische und der amerikanische Präsident abermals der engen Beziehung der beiden Länder. Joe Biden sprach von der Ukraine als „Partner“, Selenskyj von Amerika als „echtem Verbündeten“.
Nach einem Vier-Augen-Treffen kündigte der amerikanische Präsident an, die nächste Tranche der Ukraine-Hilfen genehmigt zu haben: 325 Millionen Dollar für „mehr Artillerie, mehr Munition, mehr Panzerabwehrwaffen“. Außerdem würden in der nächsten Woche die ersten Abrams-Panzer geliefert. Es gehe in der Ukraine um „die Zukunft, die Zukunft des Friedens“, sagte Biden. „Dieser kann, dieser wird Amerika nie den Rücken kehren“. Auch nach 575 Tagen Krieg nicht.
Die von Kiew gewünschten Kurzstreckenraketen vom Typ ATACMS waren in dem Paket nicht enthalten, auch wenn die Lieferung zu einem späteren Zeitpunkt nicht als ausgeschlossen gilt. Für Selenskyj waren das Gespräch mit Biden und anschließend die erweiterte bilaterale Runde dennoch der angenehmere Teil der Reise. Der Ukrainer bedankte sich eindringlich für die Hilfen und sprach trotz der fehlenden Kurzstreckenraketen von einem „sehr leistungsstarken“ Paket der Vereinigten Staaten. Es sei genau das, „was unsere Soldaten jetzt brauchen“.
McCarthy hatte „Fragen“ an Selenskyj
Wenige Stunden zuvor waren Selenskyj im Kongress noch kritischere Töne entgegengeschlagen. Zu den Abgeordneten und Senatoren, die er am Morgen traf, gehörte auch der Sprecher des Repräsentantenhauses Kevin McCarthy. Man habe „Fragen“ an den Ukrainer gehabt, äußerte der Republikaner später. Es habe Bedenken hinsichtlich der „Rechenschaftspflicht“ gegeben. Dann bestätigte McCarthy, dass er die Anfrage Selenskyjs, ein zweites Mal vor dem versammelten Kongress zu sprechen, abgelehnt habe. „Wir hatten einfach keine Zeit“, begründete er das.
In wenigen Tagen droht in den Vereinigten Staaten wegen des Streits um den Haushalt der „Shutdown“ der Regierung; die Hunderten Milliarden Dollar für die Ukraine sind seitens der Republikaner dabei zu einem entscheidenden Thema vor der Präsidentenwahl im nächsten Jahr geworden. Die mehr als 76 Milliarden Dollar, die Washington seit Beginn des Krieges in Form militärischer, finanzieller und humanitärer Hilfe an Kiew gegeben hat, werden laut Umfragen auch in der Bevölkerung zunehmend kritisch gesehen.
Als Selenskyj vor einem Dreivierteljahr zu seinem erstem Besuch seit der russischen Invasion in Washington gewesen war, war die Stimmung noch eine ganz andere. Drei Tage vor Heiligabend sprach der ukrainische Präsident vor dem versammelten Kongress und schilderte die Gräuel des russischen Angriffskriegs im Detail. Er übergab den Senatoren und Abgeordneten eine ukrainische Flagge von Kämpfern aus Bachmut: ein Geschenk für diejenigen, „deren Entscheidungen Millionen Menschen retten können“, sagte er damals. Inzwischen befürchten viele, die Amerikaner könnten die Hilfen einstellen, sollten sich die Machtverhältnisse bei der Präsidentenwahl im November 2024 verschieben.
„Viel Zeit, um sich mit Abgeordneten auszutauschen“
Bei diesem Besuch war nicht einmal eine Pressekonferenz angesetzt. Die jüngsten Abmachungen wurden während des erweiterten bilateralen Treffens in wenigen Minuten mitgeteilt. Wichtiger sei bei der Planung gewesen, dass Selenskyj viel Zeit habe, sich mit Abgeordneten auszutauschen, hieß es aus der Biden-Regierung – wohl vor allem mit kritischen Republikanern. Es sei bei der Planung darum gegangen, „wie wir die bestmöglichen Ergebnisse für die Ukraine erzielen können“, sagte Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan.
Anwesende Kongressabgeordnete berichteten später, McCarthy, der wegen der Ukrainehilfen vom rechten Rand der Partei unter Druck gesetzt wird, sei im direkten Austausch mit Selenskyj weniger forsch gewesen als bei seinen anschließenden Äußerungen. Er habe etwa nach einem Zeitplan für das mögliche Ende des Krieges gefragt sowie nach dem gewissenhaften Einsatz der amerikanischen Waffen durch das ukrainische Militär.
Mitch McConnell, der republikanische Minderheitsführer im Senat, stellte sich am Donnerstag dagegen weiter demonstrativ hinter die Ukraine. Nach dem Treffen schrieb er auf der Plattform „X“, er habe Selenskyj „mit Stolz im Kapitol empfangen“. Bei der Unterstützung Kiews handele es sich nicht um Almosen. „Sie ist in unserem direkten Interesse – nicht zuletzt, weil ein geschwächtes Russland zur Abschreckung Chinas beiträgt.“ Peking gilt den Vereinigten Staaten international als größte Herausforderung.
Nach dem Treffen mit Biden rief ein Journalist Selenskyj zu, ob ihm im Kongress zugesichert worden sei, dass die Ukraine in Zukunft weiterhin unterstützt werde. Statt des ukrainischen Präsidenten antwortete Joe Biden: „Ich zähle auf das Urteilsvermögen des Kongresses“, sagte der Präsident. „Es gibt keine Alternative.“