Ein filmreifer Überfall auf einen Geldtransporter mit zwei Toten; der Doppelmord an einer jungen Frau und einem älteren Mann in einem Motelzimmer, verübt offenbar im Rahmen einer Heilungszeremonie: Gleich zwei Kapitalverbrechen landen zu Beginn von „Dark Winds“ auf dem Tisch des Lieutenants Joe Leaphorn (Zahn McClarnon) von der Navajo Tribal Police.
Leaphorn ist ein Veteran der Polizeiarbeit, aber diese Ermittlungen fordern ihn über alle Maßen. Die einzige Zeugin des Doppelmordes ist die steinalte und blinde Margaret Cigaret (Betty Ann Tsosie), die nicht reden will. Das FBI taucht in Person des schnippischen Leland Whitover (Noah Emmerich) auf, der seine Herablassung gegenüber den Navajo gar nicht erst zu verbergen versucht.
Und dann ist da ein seltsamer Neuzugang namens Jim Chee (Kiowa Gordon) bei der Tribal Police, der mit seinem Anzug und seinem Sportwagen so gar nicht in das Hinterland von New Mexico und Arizona passt. Doch hinter Chees Großstädterfassade, die auch Officer Manuelito (Jessica Matten) irritiert, verbirgt sich ein Ermittler, der sich als unentbehrlich erweist.
Native Americans nicht nur in Nebenrollen
Die Serie „Dark Winds“ basiert auf den Romanen „Listening Woman“ (1978) und „People of Darkness“ (1980) des Schriftstellers Tony Hillerman. Er ließ in seinen zahlreichen Krimis wie kein Zweiter die vielschichtige Welt der Navajo im amerikanischen Südwesten lebendig werden. Mit ihrer Verfilmung (eine dritte Staffel ist im Gespräch) treten endlich auch die Ureinwohner Amerikas in der Fernsehlandschaft in Erscheinung – und nicht nur in schmückenden Nebenrollen. Schauplatz ist das Navajo-Reservat, und beinahe sämtliche Figuren sind Natives. Der Serienschöpfer Graham Roland ist Bürger der Chickasaw Nation, und alle Autoren sind indigener Abstammung.
Ironisch, dass es der Bücher eines weißen Journalisten aus Oklahoma bedurfte, um die Native Americans ins Rampenlicht zu rücken. Als Tony Hillerman, Jahrgang 1925, nach dem Zweiten Weltkrieg nach New Mexico kam, wurde er zufällig Zeuge einer Navajo-Zeremonie, des Enemy Way. Sie dient dazu, Soldaten nach der Rückkehr vom Schlachtfeld wieder in die zivile Gemeinde zu integrieren. Hillerman war tief beeindruckt.
Jahre später hängte er seine Professur an der University of New Mexico an den Nagel, um hauptberuflich Kriminalromane zu schreiben, die auf der Navajo Nation spielten, dem mit 70.000 Quadratkilometern größten Indianerreservat Amerikas. Achtzehn Bücher über Joe Leaphorn und Jim Chee verfasste Hillerman bis zu seinem Tod 2008, in denen die Kultur, die Mythen und der Humor der Navajo eine Hauptrolle spielen und die Fälle stets zwischen der nüchternen Realität der Polizeiarbeit und den magischen Gefilden, in denen die Navajo einen Teil der Welt verorten, oszillieren. Die Navajo verliehen ihm dafür den „Special Friends of the Dineh Award“. Dineh oder Diné, so nennen sich die Navajo selbst (die Bezeichnung Navajo stammt vermutlich von den spanischen Eroberern).
Die Serie legt die Finger in Wunden, die bis heute nicht verheilt sind
„Dark Winds“ spielt 1971 und erschließt sich damit nicht nur einige visuelle Hingucker – so zum Beispiel Leaphorns Einsatzfahrzeug, einen hochgestellten GMC Suburban aus den frühen Siebzigern. Sie nimmt sich die Freiheit, die Unterdrückung der Navajo durch die amerikanische Regierung zu thematisieren. So beschwört Leaphorns Ehefrau Emma (Deanna Allison) in der Klinik, in der sie arbeitet, die schwangere Sally Growing Thunder (Elva Guerra), ihr Kind nicht unter Aufsicht weißer Ärzte zur Welt zu bringen – in den Sechziger- und Siebzigerjahren wurden Tausende indigene Frauen Opfer von Sterilisationen, denen sie nicht oder unter falscher Beratung (etwa, die Prozedur sei rückgängig zu machen) zugestimmt hatten. Die Serie legt den Finger in Wunden, die bis heute nicht verheilt sind.
Zahn McClarnon, den man aus zahlreichen Nebenrollen in hochklassigen Serien, darunter „Fargo“, „Longmire“ oder „Westworld“, kennt, darf endlich eine Serie anführen, und man muss sich fragen, warum ihm dies so lange verwehrt blieb. McClarnon, 56, spielt Leaphorn mit einer stillen Intensität, die der Figur von Hillerman alle Ehre erweist – auch, wenn sich die Autoren gewisse Freiheiten mit seinen Charakteren genommen haben.
„Dark Winds“ erhielt meistenteils begeisterte Kritiken – außer unter den Navajo selbst. Vielfach beklagten sie, dass in der Besetzung kaum Navajo zu finden seien (McClarnon ist Lakota, Matten ist Red-River Métis Cree, Gordon ist Hualapai), dass es an Sorgfalt bei der Darstellung des Navajo-Lebens mangele und dass in der Serie zwar Navajo gesprochen wird, man sich aber wenig Mühe gemacht habe, das richtig hinzubekommen. Zahlreiche Navajo machten sich in den sozialen Netzwerken über die Dialoge lustig, die „Navajo Times“ befand: „Authentizitätstest nicht bestanden.“
Albert Brent Chase, der Kultur und Sprache der Navajo unterrichtet, sagte dem Blatt: „Die Filmindustrie will Indianer, aber es ist ihnen nicht wichtig genug, uns korrekt darzustellen. Es ist immer noch wie zu John Waynes Zeiten.“ Auch die Beschäftigung mit dunklen Energien, fanden manche, sei von der westlichen Faszination für Skurriles geprägt.
Aber Hillermans Krimis beziehen ihre Spannung zu einem beträchtlichen Teil aus der Frage, ob hinter den menschlichen Missetaten übernatürliche Phänomene zu vermuten seien – oder ob dies bloß der Verschleierung oder der Verunsicherung diene. Seine Geschichten illustrieren auch die komplizierte Existenz der Navajo in zwei Welten zugleich – der modernen, von westlicher Logik geprägten und der traditionellen, in der Mystisches weiter seinen Platz hat. Als in „Dark Winds“ Jim Chee an einer Stelle den „Aberglauben“ infrage stellt, bescheidet ihn Leaphorn: „Dies sind die Geschichten, die unser Volk am Leben gehalten haben.“
Dark Winds startet heute bei RTL Crime.