Damit umgehen, dass nicht alle gleich sind und gleich denken: Die Philosophin Seyla Benhabib hat in ihrer Dankesrede zum Adorno-Preis der Stadt Frankfurt auf die Aktualität von Theodor W. Adorno (1903-1969) hingewiesen. Konflikte, die hitzige Diskussion über Migration, Klimawandel und die zunehmend schwierige ökonomische Lage der Menschen bewegten zu identitären Haltungen, so Benhabib in der Frankfurter Paulskirche. Für sie aber führt kein Weg am Dialog, an einer „erweiterten Denkungsart“, die unterschiedliche Sichtweisen und Lebensarten anerkennt, vorbei.
Konflikte aushalten mit Adorno
Diese Denkungsart führt sie direkt auf Adorno zurück. Damit hat die 1950 als Tochter jüdischer Eltern in der Türkei geborene und seit langem in den Vereinigten Staaten lehrende Philosophin, wie schon lange keine Preisträgerin vor ihr, den Bezug zur Frankfurter Schule von Adorno, Horkheimer und vor allem Walter Benjamin bekräftigt. Ihr Leitstern aber, das wurde in ihren Ausführungen deutlich, ist und bleibt Hannah Arendt. Der mit 50.000 Euro dotierte Preis wird seit 1977 alle drei Jahre an Adornos Geburtstag am 11. September vergeben.
Benhabib hielt ihre Dankesrede auf Deutsch, sie hat zehn Jahre in Frankfurt verbracht. Auch daran haben sie und ihr Laudator, der Wissenschaftshistoriker Martin Jay, erinnert. 1980, als ganz junge Philosophin, ist Benhabib aus den Vereinigten Staaten nach Frankfurt gekommen, „das hat mein Leben für immer verändert“, so Benhabib. Sie erwähnte die Doktorandenseminare, die sie damals immer montags bei Jürgen Habermas besuchte, der im selben Jahr, in dem sie ankam, selber Adorno-Preisträger gewesen ist. Damals haben sie und Jay sich an dem von Habermas geführten Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt in Tutzing anlässlich einer Tagung kennengelernt.
Frankfurt als Zentrum
Frankfurt sei damals ein Zentrum des Denkens und ein Treffpunkt internationaler jüdischer jüngerer Leute gewesen, die in den damaligen Konflikten wie Vietnamkrieg oder Palästina sehr unterschiedlicher Meinung gewesen seien, sich aber auch gemeinsam gefragt hätten, wie nach der Schoa ein Leben in Deutschland möglich sei. So illustrierte Benhabib aus dem eigenen Erinnern, was ihr Laudator Jay zuvor gelobt hatte: die Wirklichkeitsnähe dieser Philosophie.
Jay sagte, die 1950 geborene Philosophin werde der Nachwelt nicht nur als Lehrerin herausragender Studenten in Erinnerung bleiben, die längst selbst Karriere machten, sondern auch als Philosophin, deren Ideen tauglich für die Herausforderungen der Wirklichkeit seien. Dies bestimmte den Ton der Reden, auch in aktuellen Fragen. Zum Konflikt um die Philosophin Nancy Fraser sagte Benhabib, man müsse nicht die politische Haltung von Denkern, die man schätze, teilen.
Benhabib hat zahlreiche Schwierigkeiten der aktuellen Weltlage angesprochen: Kriege, Migration, zunehmende Verarmung. Dies dürfe nicht in identitäres Denken, Abschottung und nicht-solidarische Systeme münden, forderte sie. „Die negative Universalität unsere gegenwärtigen conditio in eine nicht-identitäre Solidarität zu verwandeln“, sei das Vermächtnis Adornos.