Die Pläne von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für ein härteres Durchgreifen gegenüber Bürgergeldempfängern, die nicht willens sind zu arbeiten, stoßen in den Ampelparteien auf ein geteiltes Echo. Lobend äußerte sich am Freitag Finanzminister Christian Lindner. „Vor allem wird die Akzeptanz des Sozialstaats gestärkt, wenn auch Gegenleistungen gefordert werden“, sagte der FDP-Minister. Im kommenden Jahr müsse weiter in diese Richtung gedacht werden. „Das System unserer Sozialleistungen muss daraufhin geprüft werden, dass sich Arbeit stets mehr lohnt als der Verzicht auf einen Job.“ Das erwarteten die Steuerzahler zu Recht.
„Solidarität ist keine Einbahnstraße. Deshalb ist es richtig, dass wir auch zumutbare Gegenleistungen einfordern“, sagte der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Pascal Kober, der F.A.Z. – entscheidend für den Erfolg von Heils Vorstoß sei aber, dass Arbeitsplätze auch angeboten werden. Notwendig dafür seien auch eine gezielte Beratung und Ansprache der Arbeitgeber, hob Kober hervor.
Skeptische Töne kamen hingegen von den Grünen im Bundestag. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andreas Audretsch sagte, das Bundesverfassungsgericht habe 2019 in seinem Urteil zu Sanktionen gegen unkooperative Hartz-IV-Bezieher strenge Vorgaben für die Kürzung des Existenzminimums gemacht. „Anhand dieser Vorgaben werden wir jeden Vorschlag zur Reform prüfen und messen“, kündigte der Grünenpolitiker an.
137.866 Leistungsminderungen
Bürgergeldempfänger, die „sich willentlich weigern, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen“, sollen nach Heils Plänen längstens für zwei Monate keine Regelleistungen bekommen. Aktuell sind nur Leistungsminderungen von bis zu 30 Prozent möglich. Die geplante Verschärfung sei mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbar, wird in dem Entwurf hervorgehoben. Ein vollständiger Leistungsentzug sei demnach ausnahmsweise gerechtfertigt, wenn zumutbare Erwerbstätigkeit ohne wichtigen Grund willentlich verweigert werde. Diese Möglichkeit werde mit der geplanten Neuregelung umgesetzt.
Unklar ist, wie viele Bürgergeldempfänger betroffen wären. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit sprachen die Jobcenter in den ersten acht Monaten dieses Jahres 137.866 Leistungsminderungen aus. Die allermeisten davon, rund 84 Prozent, entfielen auf Meldeversäumnisse bei den Jobcentern. In rund 6 Prozent oder 8531 Fällen wurden Leistungen gekürzt, weil sich die Bürgergeldempfänger geweigert hatten, eine Arbeit aufzunehmen oder fortzuführen beziehungsweise eine Weiterbildungsmaßnahme oder Ausbildung ablehnten.
Der Personenkreis, auf den Heils Verschärfungen zielen, ist aber enger gefasst. Nach den Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums werden die verschärften Sanktionen wegen Arbeitsverweigerung zu einer jährlichen Ersparnis von 170 Millionen Euro im Bürgergeld führen. Davon entfielen rund 150 Millionen Euro auf den Bund und 20 Millionen Euro auf die Kommunen, heißt es in dem Referentenentwurf.
„Nach wie vor grausige Vermittlungsquote“
Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Hermann Gröhe (CDU) begrüßte „die Kehrtwende von Hubertus Heil“. Ein aktuelles Gutachten belege, dass der Verzicht auf Sanktionen zu Verschlechterungen bei der Arbeitsvermittlung führe. „Aber die Jobcenter müssen auch in die Lage versetzt werden, Arbeitslose besser zu vermitteln“, mahnte Gröhe.
Unterschiedlich reagierten die Wohlfahrtsverbände. Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa lobte, Heil schütze das Bürgergeld vor bewussten Fehlinterpretationen politischer Gegner, die die Leistung als bedingungsloses Grundeinkommen zu diskreditieren suchen. „Und er schützt ukrainische Leistungsberechtigte vor der Verdächtigung, sich Sozialleistungen zu erschleichen.“ Im Gesetzgebungsverfahren sei zu prüfen, ob die neuen Formulierungen von den Jobcentern „als praxistauglich und mit Maß umsetzbar eingeschätzt werden“.
Dagegen sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, es sei „frech“, den Arbeitslosen die Schuld für die „nach wie vor grausige Vermittlungsquote“ zuzuschieben. Würden die Ankündigungen umgesetzt, sei mit Gerichtsverfahren zu rechnen. Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, hob hingegen hervor: „Menschen, die nicht kooperieren, können nicht die Solidarität der Allgemeinheit beanspruchen. Das Bürgergeld sollte ein Sprungbrett in Beschäftigung sein, keine Hängematte.“
Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, bestätigte gegenüber der F.A.Z., es sei „ohne Zweifel richtig, die Sanktionen beim Bürgergeld zu stärken“. Darauf wiesen die Ergebnisse der Evaluationsforschung hin. Sonst verringerten Leistungsempfänger die gewünschten Anstrengungen, so schnell wie möglich wieder in Beschäftigung zu kommen.
Der Ökonom gab jedoch zu bedenken, dass die stärkere Sanktionierung der Totalverweigerer „nur ein Randproblem“ sei. Der eigentliche Handlungsbedarf bestehe wegen der Fehlanreize, in Teilzeit zu bleiben. Diese verschärften sich mit der Bürgergelderhöhung zum 1. Januar 2024. So erhöhe sich bei einer Verdopplung der wöchentlichen Arbeitszeit von 20 auf 40 Stunden bei Mindestlohnbezug der Stundenlohn nur um 1,20 Euro, kritisiert der Direktor des IW.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, bezeichnete Heils Vorschlag für härtere Sanktionen beim Bürgergeld gegenüber jenen, die Arbeitsangebote ablehnen, als „richtig“. Davon sei aber nur eine „sehr kleine Minderheit“ betroffen. Deswegen handle es sich „eher um Symbolpolitik, um die Reputation des Bürgergeldes wieder zu verbessern“. Heils Vorschlag werde nichts grundlegend an der Tatsache ändern, dass viel zu viele Menschen auf das Bürgergeld angewiesen seien. Der effektivste Weg, um mehr Menschen in Arbeit zu bringen, sei eine effektivere Förderung durch Qualifizierung sowie bessere Perspektiven und Hilfen bei der Integration von Geflüchteten.