Deiche schützen uns vor Fluten – so die Theorie. In der Realität müssen in Deutschland viele Deiche saniert werden, weil sie genau dies nicht mehr tun. Gerade an den Flussdeichen, die vor Hochwasser nach starken Niederschlägen schützen, gibt es Probleme.
Der Rheinhochwasserdamm XXXIX in Mannheim ist schon viele Jahrzehnte alt und entspricht nicht mehr aktuellen technischen Möglichkeiten und bewährten Normen. Im Zuge des Dammertüchtigungsprogramms will das Land Baden-Württemberg sowohl dessen Standsicherheit als auch die Zugänglichkeit des Deichs im Hochwasserfall verbessern. Doch die Planung führt zu Streitigkeiten.
Die Bürgerinitiative Waldpark Mannheim protestiert seit 2018 vehement gegen die Sanierungspläne aus Karlsruhe. Denn: Der dort zu sanierende Abschnitt des Deichs am Ufer des Rheins, der sich über rund vier Kilometer erstreckt, führt durch den Mannheimer Waldpark. Dieser ist das wichtigste Naherholungsgebiet Mannheims und Landschaftsschutzgebiet.
Nicht mit dem Naturschutz vereinbar
Dennoch sollen dort Tausende Bäume, davon viele Auwald-Bäume, für die Deichsanierung abgeholzt werden. Nach aktueller Norm dürfen auf einem Deich, im sogenannten Deichschutzstreifen und einer breiten Zone keine Bäume oder Büsche stehen. Gleichzeitig ist die Abholzung des rund sieben Hektar großen Gebiets, welches Teil des EU-weiten Netzes ökologisch wertvoller Schutzgebiete „Natura 2000“ ist, nicht mit dem Baum- und Naturschutz zu vereinen.
Das Regierungspräsidium Karlsruhe, das für das Vorhaben zuständig ist, sieht keine Alternativen. Doch eine geeignete Alternative – die selbsttragende Spundwand – habe Karlsruhe zu früh verworfen, sagt Sabine Jinschek, Vorstandsvorsitzende der Initiative Waldpark Mannheim. Seit mehr als fünf Jahren versucht sie, auf die Gefahr für den Wald aufmerksam zu machen und die Politik umzustimmen. Auf Anfrage der F.A.Z. gibt Karlsruhe an, für die Sanierung die „allgemein anerkannten Regeln der Technik“ anzuwenden. Die Erdbauweise sei die Regelbauweise.
Stahlwand kann den Deich stabilisieren
Die selbsttragende Spundwand aus Stahl als statisch wirksames Ersatzsystem kann mit wenig Aufwand und geräuscharmen, erschütterungsfreien Verfahren in bestehende Deiche eingesetzt werden. Eine solche Stahlwand steckt zwölf bis 14 Meter tief in der Erde und ähnelt einer Hochwasserschutzwand. Schlitze können den kontrollierten Abfluss des Wassers gewährleisten.
An gut 70 Prozent der Dammtrasse ist eine ähnliche Variante, die Einbringung nicht selbsttragender, aber abdichtender Spundwände in neuen Erddeichen, schon geplant – in bewohnten oder genutzten Gebieten, in denen breite Deichschutzstreifen und baumfreie Zonen nicht möglich sind. Das Regierungspräsidium Karlsruhe betont, dass solche Sonderbauweisen nur in Ausnahmefällen Anwendung fänden und nicht der in der DIN festgelegten Norm entsprächen.
Das Regierungspräsidium findet laut Jinschek immer neue Argumentationen, warum eine selbsttragende Spundwand im Waldpark nicht geeignet sei. Ein breiter, befahrbarer Deichweg sei zur Verteidigung nötig, Bäume könnten einstürzen, die DIN 19712 „Hochwasserschutzanlagen an Flussdeichen“ lasse keine Bäume auf Deichen zu, die CO2-Emissionen der Stahlproduktion seien zu hoch. Jinschek entgegnet: „Die Richtlinien der DIN, das sind nur Empfehlungen. Am Anfang hat das Regierungspräsidium immer argumentiert, als wäre das ein Gesetz, aber das stimmt nicht. Und in der Einleitung der DIN ist klar geschrieben: Die in dieser Norm enthaltenen Grundsätze sind entsprechend den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten anzupassen oder zu ergänzen.“ Die DIN sei mehr als zehn Jahre alt und hinke dem aktuellen Stand der Technik hinterher, sagt Jinschek. Noch dazu seien an ihr nur Ingenieure beteiligt gewesen – keine Baumsachverständigen, keine Naturschützer und keine Klimaforscher.