Mehrere konservative Richter hoben hervor, die Entscheidung beeinflusse nicht nur das Strafverfahren gegen Trump in Washington wegen des Vorwurfs, das Wahlergebnis der Präsidentenwahl 2020 kippen und den demokratischen Machtwechsel verhindern zu wollen. Es gehe auch grundsätzlich um die Stellung des Präsidentenamtes im Verfassungsgefüge der Vereinigten Staaten und die Frage, welche Konsequenzen es hätte, wenn ein Amtsinhaber fürchten müsse, dass ein Nachfolger ihm den Prozess machen könne.
Trumps Anwalt John Sauer argumentierte, dass sein Mandant strafrechtlich nicht für Taten belangt werden könne, die zu den „offiziellen Handlungen“ des Präsidenten zählten. Eine anderweitige Rechtsauslegung würde dazu führen, dass Präsidenten künftig vor kühnen Schritten zum Schutz des amerikanischen Volkes zurückschreckten – aus Angst vor Strafverfolgung. Das wäre das Ende des Präsidentenamtes, wie es die Gründerväter konzipiert hätten.
Was fällt unter „offizielle Handlungen“?
Der Begriff „offizielle Handlungen“ geht nicht auf die Verfassung zurück. Diese sagt nichts zu einer präsidentiellen Immunität, die nun erstmals in der amerikanischen Geschichte verfassungsgerichtlich überprüft wird. Es ist lediglich Rechtsauffassung des Justizministeriums, dass amtierende Präsidenten nicht angeklagt werden können. Trump ist der erste ehemalige Präsident, der sich einem Strafprozess stellen muss. Nach dem Rücktritt Richard Nixons 1974 im Zusammenhang mit der Watergate-Affäre kam es nicht zu einer Anklage, da er von seinem Nachfolger Gerald Ford begnadigt wurde.
Der Begriff „offizielle Handlungen“ stützt sich auf den Fall „Nixon v. Fitzgerald“. Dieser hatte nichts mit der Watergate-Affäre zu tun. Ein Regierungsbeamter hatte unter anderem den Präsidenten verklagt, weil er glaubte, seinen Posten wegen einer Aussage in einer Kongressanhörung verloren zu haben. Der Supreme Court urteilte 1982, Präsidenten genössen absolute Immunität in Haftungsfragen zivilrechtlicher Art.
Smiths Team lehnt Sauers Rechtsauslegung grundsätzlich ab, da der Fall Trump strafrechtlicher Natur sei. Der Sonderermittler wirft Trump unter anderem vor, fälschlicher Weise behauptet zu haben, es habe 2020 Wahlbetrug von Seiten der Demokraten gegeben. Zudem habe er das Justizministerium bedrängt, deshalb Ermittlungen einzuleiten, und Vizepräsident Mike Pence unter Druck gesetzt, die Beglaubigung von Joe Bidens Wahlsieg zu verhindern. Schließlich habe Trump seine Anhänger am 6. Januar 2021 angewiesen, das Kapitol zu stürmen, wo die Beglaubigung seinerzeit stattfand.
Verteidiger Sauer ist mit seiner Linie in zwei unteren Instanzen gescheitert – vor dem Bundes- und dem Berufungsgericht in Washington. Letzteres urteilte, dass aufgrund von Belangen der öffentlichen Ordnung, insbesondere „im Lichte unserer Geschichte und der Struktur unseres Regierungssystems“ die beanspruchte Immunität zurückzuweisen sei. Anders als in den bisherigen Instanzen gestand Sauer ein, dass einige der Handlungen des Präsidenten nach der Wahl 2020 privater Natur gewesen seien. Im Falle von offiziellen Handlungen bekräftigte er aber, dass es vor einer Anklage eine Verurteilung durch den Senat in einem Impeachment-Prozess gegeben haben müsse. Trump sei aber im zweiten Impeachment-Prozess gegen ihn, der kurz nach seinem Ausscheiden aus dem Amt stattgefunden hatte, freigesprochen worden.
Wahlleitung Georgia: Bei Anruf Trump
In der Anhörung am Donnerstag befasste sich das Verfassungsgericht längere Zeit mit der Unterscheidung offizieller und privater Handlungen eines Präsidenten. John Roberts, der Präsident des Obersten Gerichtshof, meldete grundsätzliche Zweifel an der Unterscheidung an und nannte als Beispiel eine korrupte Ernennung eines Botschafters. Die Ernennung des Botschafters sei eine offizielle Handlung, die Annahme von Bestechungsgeldern aber eine private. Amy Coney Barrett, die wie Roberts zum konservativen Lager des Gerichts zählt, machte Bedenken gegen die Auslegung Sauers geltend, dass ehemalige Präsidenten nur für offizielle Handlungen angeklagt werden könnten, wenn sie vorher in einem Impeachment-Prozess verurteilt worden seien. Was sei denn, wenn die Straftaten erst nach Ausscheiden aus dem Amt bekannt würden, fragte sie.
Sauer gestand dann ein, dass etwa der berüchtigte Anruf Trumps bei Brad Raffensperger, dem Wahlleiter in Georgia, den der seinerzeitige Präsident bedrängte, „11.000 Stimmen zu finden“, keine offizielle Amtshandlung gewesen sei. Doch machte er geltend, dass Trumps Anruf in der republikanischen Parteizentrale, mit dem er den RNC aufforderte, eigene Wahlleute für das „Electoral College“ aufzustellen, eine offizielle Handlung gewesen sei.
Verfassungsrichterin Elena Kagan, die dem linksliberalen Lager angehört, fragte Sauer sodann, wie der Anwalt es qualifizieren würde, wenn der Präsident die Streitkräfte anwiese, einen Putsch auszuführen. Als Sauer erwiderte, das sei eine offizielle Handlung, es bedürfe also einer vorhergehenden Verurteilung in einem Impeachment-Prozess, entgegnete Kagan ihrerseits: „Das klingt nicht gut, oder?“ Auch Richterin Ketanji Brown Jackson sagte, diese Auslegung könnte das Oval Office zum „Sitz krimineller Aktivitäten in diesem Land machen“.
„Operation Mongoose“ und Obamas Drohnenkrieg
Umgekehrt hinterfragten die konservativen Verfassungsrichter aber auch die Argumentation von Smiths Vertreter Michael Dreeben. Dieser führte aus, der Schutz, den Präsidenten für Amtshandlungen genieße, beschränke sich auf den zweiten Abschnitt der Verfassung, der die exekutiven Kompetenzen festlege. Diese sicherten den Amtsinhaber hinreichend ab. Der konservative Verfassungsrichter Clarence Thomas bemerkte, Präsidenten seien schon an Staatsstreichen in anderen Ländern beteiligt gewesen. Als er zur Schule gegangen sei, habe es etwa die „Operation Mongoose“ gegeben, also den Versuch Fidel Castro zu töten (während der Präsidentschaft John F. Kennedys). Eine Strafverfolgung habe es nicht gegeben.
Sein Kollege Samuel Alito wiederum verwies auf Barack Obamas Drohnenkrieg. Dreeben erwiderte, ein amerikanisches Berufungsgericht sei zu dem Urteil gekommen, dass die Klage gegen Obama von Angehörigen getöteter Jeminiten, die unschuldige Opfer eines Drohnenangriffs waren, sei zurückgewiesen worden, da es sich um exekutives Handeln gehandelt habe, das die Verfassung dem Präsidenten zuweise. Das Gericht erklärte, dass es nicht über den Drohnenkrieg urteilen könne.
Neil Gorsuch, ebenfalls Vertreter des konservativen Lagers, äußerte Bedenken, dass die Einschränkung des Schutzes vor Strafverfolgung für Amtshandlungen dazu führen könne, dass sich künftig alle Präsidenten nach vier Jahren, also vor ihrem (möglichen) Ausscheiden aus dem Amt, selbst begnadigen könnten, um zu verhindern, von ihren Nachfolgern beziehungsweise deren Justizministern angeklagt zu werden.
Urteil vom Supreme Court mutmaßlich erst im Sommer
Auch Roberts zeigte sich skeptisch: In vielen Fällen sei es doch sehr leicht für einen Ankläger, ein Geschworenengericht dazu zu bewegen, Anklage zu erheben, sagte er. Als erwartete Richterin Brown Jackson einen Urteilsspruch, der irgendwo in der Mitte zwischen den Positionen des Sonderermittlers und Trumps Anwalt liegt, fragte sie Dreeben, ob dieser glaube, dass die Straftaten, die als privat eingestuft würden, ausreichten, um den Strafprozess in Washington fortzusetzen. Dieser bejahte umgehend und fügte hinzu, auch die offiziellen Handlungen müssten allerdings herangezogen werden, um Trumps Motive aufzuzeigen.
Wann der Supreme Court ein Urteil fällt, ist offen. Gemutmaßt wird, dass dies Ende Juni, Anfang Juli, also vor der Sommerpause des Gerichts, sein könnte. Sollte das mehrheitlich konservative Gericht zu dem Urteil kommen, dass Präsidenten zwar keine absolute, aber eine beträchtliche Immunität genießen, könnte es das Bundesgericht in Washington, das das Verfahren führt, zunächst beauftragen, zu bestimmen, welche Handlungen offiziell und welche privat waren. Das würde den Prozessauftakt in Washington weiter verzögern. Trump kann das nur recht sein.