In schwierigen Zeiten müssen manchmal ungewöhnliche Mittel her. Als sich im Jahr 2002 Englands Fußball-Ikone David Beckham den Fuß brach, bangte eine ganze Nation samt Queen Elisabeth II., ob er wohl noch rechtzeitig bis zur Weltmeisterschaft genesen würde. Das Boulevardblatt „The Sun” brachte sogar ein Foto von Beckhams nacktem Fuß auf der Titelseite und forderte seine Leserinnen und Leser auf, durch kollektives Handauflegen eine Art Wunderheilung zu bewirken. Ob durch Voodoo oder rein medizinisches Geschick – Beckham und sein Fuß schafften es damals tatsächlich zur WM.
Bei Alexander Zverev wird jedoch auch gemeinsames Handauflegen nichts mehr nützen. Die Beule an seinem linken Oberschenkel dürfte also hierzulande keine Titelseiten zieren, denn spontan verschwinden wird der Muskelriss darunter nicht. Es wäre eine echte Wunderheilung nötig, damit Deutschlands bester Tennis-Profi zur Davis-Cup-Relegation am Wochenende wieder fit wird. Aber die ist nicht in Sicht.
So steht die deutsche Mannschaft beim Duell um den Verbleib in der Weltgruppe gegen Bosnien-Hercegovina ohne ihren besten Mann da. Dass der Ausfall von Zverev schwer wiegt, ist auch dem 49 Jahre alten Teamchef Michael Kohlmann bewusst.
Hatte er doch fest mit dem Weltranglistenzehnten gerechnet, der mit seinem Viertelfinaleinzug bei den US Open bewiesen hatte, dass er seine Bestform nach der Knöchelverletzung im Vorjahr endgültig wiedergefunden hat. „Bei dieser wichtigen Partie hätten wir ihn natürlich gerne dabei gehabt“, meinte Kohlmann und machte sich selbst Mut: „Aber ich bin überzeugt, dass wir auch ohne ihn stark genug sein werden, um gegen Bosnien-Hercegovina zu bestehen.“
Kein Selbstläufer für Kohlmanns Truppe
Allerdings fehlt Kohlmann auf dem Sandplatz des Tennis Clubs von Mostar nicht nur seine Nummer eins, sondern auch seine zwei. Jan-Lennard Struff ist nach längerer Verletzungspause gerade erst ins Training zurückgekehrt. „Er hätte uns gerne unterstützt“, erklärte Kohlmann, „aber ein Einsatz wäre für ihn zu früh gekommen.“ Nun müssen Daniel Altmaier, Yannick Hanfmann, Maximilian Marterer und die Doppel-Spezialisten Tim Pütz und Kevin Krawietz als Kollektiv den Abstieg verhindern.
Bei allem Optimismus, den Kohlmann gerne ausstrahlen möchte, gibt es dennoch einen kleinen Dämpfer: Keiner seiner Einzelspieler hat bisher ein Spiel im Davis Cup gewonnen. „Das ist mit Sicherheit eine Sache, die geholfen hätte, wenn man jemanden hätte, der schon mal mehrere Punkte für Deutschland geholt hätte“, sagte der Teamchef, verwies aber auf die sehr ordentlichen Ergebnisse, die seine Spieler in dieser Saison auf Sand gezeigt hatten und auf den guten Teamgeist seiner Mannschaft.
Zur Wahrheit gehört auch, dass Bosnien-Hercegovina kein Schwergewicht im Welttennis ist. Erst seit 1996 im traditionsreichen Davis-Cup-Wettbewerb dabei, schaffte es die bosnische Mannschaft 2018 einmal in die Play-offs der Weltgruppe. In der Nationenrangliste liegt das Land derzeit auf Platz 29, Deutschland ist Fünfter – scheiterte aber dennoch in der ersten Runde mit 2:3 an der Schweiz. Bosnien-Hercegovina war Schweden mit 1:3 unterlegen.
Die deutsche Mannschaft ist auch ohne Zverev und Struff Favorit, denn einzig der inzwischen 31-jährige Damir Džumhur gehörte im Team von Kapitän Zoran Zrnic als ehemalige Nummer 23 schon mal zur erweiterten Weltspitze und konnte auch Zverev einmal besiegen, als der noch die Nummer vier war. Ein Selbstläufer wird es für Kohlmanns Truppe trotzdem nicht, „wir werden an unser Leistungslimit rankommen müssen“, kündigte er an.
Vieles wird an diesem Wochenende für die Deutschen über den größeren Willen und starke Nerven entschieden werden. Doch Kohlmann hat sich bisher als guter Motivator bewiesen, der auch in schwierigen Momenten den richtigen Ton bei seinen Spielern trifft. „Ich bin sehr positiv gestimmt für den Ausgang des Wochenendes“, betonte Kohlmann. England schied mit Beckham damals übrigens im Viertelfinale aus, Deutschland wurde Vizeweltmeister. Vielleicht wird die Beule der Nation ja überbewertet.