Siebenstellig! Man glaubt das Echo des Raunens im Kunstmarkt bis heute nachhallen zu hören, als Bilder von Andreas Gursky im Takt der internationalen Kunstauktionen die Millionengrenze überschritten und Jahr für Jahr die Latte immer noch ein wenig höher hängten, bis „Rhein II“ im Herbst 2003 mit einem Zuschlag bei 4,3 Millionen Dollar alle Rekorde für Fotografie brach. Es war ein doppelter Superlativ: hier der Preis, dort das Format von gut zwei auf knapp vier Meter. Farbig und geheimnisvoll leuchtend zeigt die Arbeit eine Flusslandschaft, jedoch so stark reduziert, dass zunächst kaum mehr zu erkennen ist als drei Grünstreifen, ein asphaltierter Weg, der Ufersaum und eben Wasser, alles horizontal übereinandergeschichtet. Man braucht den Ort nicht zu kennen, um zu spüren, dass etwas fehlt, dass Gursky mit seinem Bildprogramm kurzerhand aus der Ansicht alles entfernt hat, was er als störend empfand. Unter anderem ein riesiges Kraftwerk am gegenüberliegenden Ufer.
Der Rhein: Das ist deutsche Romantik pur. Und niemand hat ihn emphatischer zelebriert als die Maler der Düsseldorfer Schule. Das war die alte, die des neunzehnten Jahrhunderts. Düsseldorfer Schule heute: Das sind die Studenten von Bernd Becher an der Kunstakademie, die berühmtesten gleich aus dessen erster Klasse in den frühen Achtzigern. Neben Andreas Gursky unter anderen Thomas Struth und Thomas Ruff, ein Dreigestirn, für das der Kunstmarkt das Etikett „Struffsky“ kreiert hat. Am hellsten leuchtet Gursky. Wie kein anderer hat er mit seinen triumphalen Ausstellungen überall auf der Welt das Medium endgültig in der Kunst verankert. Allerdings: Ist das überhaupt noch Fotografie? Gursky sagt: Ja. Und sagt, dass er überzeichne, die Wirklichkeit akzentuiere, weil es ja objektive Wirklichkeit nicht gebe, sondern nur die subjektive Sicht darauf. Aber Grundlage seiner Werke sind stets Fotografien eines gesehenen Motivs und erlebter Momente. Vieler Momente bisweilen.
Eine Welt nach eigenem Willen
Für manche seiner Arbeiten hat Andreas Gursky fast anderthalbtausend Bilder aufgenommen, um später daraus ein einziges zu montieren, in dem es keine Fluchtlinien mehr gibt oder Gebäude so gegeneinander verdreht sind, wie sein ästhetisches Empfinden es jenseits des originalen Architekturentwurfs für richtig hält – oder es ihm womöglich seine Kenntnis der Kunstgeschichte diktiert. Anregungen für sein Werk jedenfalls findet man eher in der Malerei als bei Fotografenkollegen. Und wie jene vermag es Gursky, eine Welt nach eigenem Willen und eigener Vorstellung zu schaffen. Dazu stützt er sich auf die Hilfe digitaler Bearbeitungsmöglichkeiten und erlaubt sich immer extremere Bildmanipulationen. „Wirklichkeit“, sagt er forsch, „ist überhaupt nur darzustellen, indem man sie konstruiert.“ Neuland hat er damit nicht betreten, aber er hat die Felder bewirtschaftet wie niemand vor ihm.
Dabei hat alles ganz brav begonnen. Als Kind eines Werbefotografen, dann die Ausbildung zum Fotojournalisten an der Folkwangschule in Essen, anschließend zum Fotokünstler mit strengen Konzepten bei Bernd Becher in Düsseldorf, wo er Verkäuferinnen in Kaufhäusern und Pförtner in Bürohäusern in Serie fotografierte. Erst eine Landschaftsaufnahme aus den Schweizer Bergen, auf der er später winzig klein eine Gruppe von Wanderern entdeckte, wies ihm einen Weg, mit dem er sich von der gnadenlos sachlichen Ausrichtung des Lehrers löste. Aus befremdenden Perspektiven, göttergleich fast, schaute er – und später der Betrachter mit ihm – nunmehr von oben auf die Welt und die Menschen hinab. Das waren anfangs einige ameisenhafte Wesen, die Fußball spielten, eine Rennstrecke beim Abfahrtslauf säumten oder sich im Freibad tummelten, gerade so, als handele es sich um Staffagefiguren einer Modelleisenbahn.
How his pictures seem to have come from a model kit. Then there were more and more actors, at the Love Parade and a rave, at concerts by Madonna and the Toten Hosen, on the trading floors of the largest stock exchanges between Chicago, Kuwait and Tokyo and in the stadium in Pyongyang, where tens of thousands of people watched a ballet of images and color patterns. These images are also constructed, composed of a multitude of photographs, sometimes inserted into one another in a kaleidoscopic manner. So the masses here form ornaments and there are jumbled together into chaotic tangles, both of which convey a feeling of confinement. But people don't seem to notice it at all.
Andreas Gursky is on the trail of life in modern society. And what he finds gives no reason to despair. Although the people here are all robbed of their individuality, they rarely seem lost, but instead go about their leisure activities without a care in the world or concentrate on weaving wicker furniture by the hundreds, like in an enormous Vietnamese factory. Even where they are integrated into machines, they never seem like their slaves. Where one would expect the hustle and bustle of trading the global economy, the brokers provide a moment of calm. And behind the facade of the Montparnasse living machine, a seventeen-story high-rise building, 340 meters wide, the people seem to have made themselves comfortable in their own way – the image is so accurate and the view through the more than a thousand windows into the apartments is so deep .
For Gursky, greatness is never pathos
The fact that food and consumer goods are sorted hundreds of thousands of times in his pictures of the shelves of a supermarket and an Amazon warehouse, it seems, gives the work a sweetly ironic undertone. At the same time, these images in particular prove that for Gursky, size is never pathos, but rather necessity as a means of conveying the message: so that the viewer can get lost in the complexity, strictly speaking, must get lost – which can also be understood as a commentary on the world.
There is talk of globalization when looking at Gursky's work, of the consumer industry and of an abundance of goods. And one could add the word product fetishism to it in view of his chilled panoramas of shelves full of Dior sneakers or sunglasses, even the empty, ghostly green glowing display case with the seductive and treacherous title “Prada”. But anyone looking for the last traces of training in socially critical photography in Essen in these works is unlikely to find what they are looking for.
Gursky's frame of reference is art, the question of seeing, the effect of images, what they do to us. Recently, however, he seemed to be almost more interested in what the material itself does to his work – and how it can be saved from fading and decay. His commitment to founding a German photography institute not only earned him friends, but also criticism for acting primarily in his own interest. Now we hear that he is working on his own foundation in Düsseldorf, including a warehouse and exhibition space. His seventieth birthday today would be a nice occasion to talk about it.