Nichts ist gefährlicher als eine junge Frau mit genug Bargeld in der Tasche ihres Mantels, um sie unabhängig zu machen, und einer Pistole in der Hand, um ihren Willen durchzusetzen – das wussten schon die Hollywoodfilme der schwarzen Serie. Doch bis Eileen im nach ihr benannten Thriller des britischen Regisseurs William Oldroyd (nach dem gleichnamigen Roman von Ottessa Moshfegh) schließlich so weit ist, ihren Leidenschaften zu folgen und die Mittel einzusetzen, die ihr dafür zur Verfügung stehen, muss sie sich erst komplett neu erfinden. Denn das Leben hat es bislang nicht gut mit ihr gemeint.
Diese Eileen (Thomasin McKenzie) ist vierundzwanzig Jahre alt, kümmert sich um ihren kaputten Vater – früher der Sheriff des Städtchens, jetzt im Unterhemd dem Alkohol verfallen – und fährt mit einem schrottreifen Wagen zur Arbeit, dessen Fenster sie selbst bei Minusgraden runterkurbeln muss, weil der Innenraum sich sonst mit dampfenden Abgasen füllt. Das Geld, von dem sie die täglichen Alkoholrationen für den Vater kauft, verdient sie in einem Jugendgefängnis. Und wenn sie dort die Mütter und Schwestern der Inhaftierten vor dem Gefangenenbesuch abgetastet hat, stellt sie sich vor, wie der junge Aufseher sie gegen die Glasscheibe drückt und verführt. Wenn sie Zeit für sich haben will, fährt sie mit dem Auto zum verschneiten Strand, beobachtet knutschende Pärchen und steckt sich Schnee unter den Rock, um die eigene Hitze loszuwerden.
Die junge Frau hat Träume, doch sie versteckt sie auf dem Dachboden. Dort liegt sie im langen Wollrock mit zugeknöpfter Bluse auf einer ausrangierten Couch, futtert Süßkram, den sie sofort wieder ins Silberpapier spuckt, und stellt sich vor, dieses Leben hinter sich zu lassen. Und da es für einen Aufbruch immer einen Anlass braucht, kommt Eileens Weckruf im roten Sportwagen auf den Gefängnishof gebraust.
Dem entsteigt die neue Gefängnispsychologin Rebecca (Anne Hathaway, mit platinblonder Marilyn-Monroe-Mähne), und Eileen ist sofort von dieser selbstbewussten Frau gefesselt, bei der vom Lidstrich bis zu den High Heels alles perfekt sitzt. Sie begehrt diese Frau und will zugleich selbst so sein wie sie. Sie atmet tief den Duft von Rebeccas Mantel ein, als sie ihn aufhängen soll, kauft am Abend neben dem Schnaps für den Vater auch Zigaretten und übt gleich, sie elegant zu halten, wie Rebecca es tut. Auch das Zetern des Vaters, der mit den Zigaretten ihren moralischen Abstieg vorhersagt, ignoriert sie. Oldroyd inszeniert die langsame Emanzipation dieser jungen Frau als psychologisches Kriminalstück und nimmt das Unbewusste, das man nur an seinen Spuren im Bewussten und im Handeln erkennen kann, dabei in schönster Hitchcock-Manier über genau diese Spuren in den Blick. Er konzentriert sich dabei auf Spiegel, lässt Eileen immer wieder sich selbst betrachten, während sie ihr Äußeres verändert, Lippenstift auflegt, aus dem Kleiderschrank ihrer verstorbenen Mutter die schönsten Sachen anzieht, ihr neues Ich mit selbstbewussten Blicken herausfordert, bevor sie mit Rebecca in einer Bar Martinis trinkt.
Tagträume voller Gewalt
Während sich Eileens Erscheinung immer mehr der von Rebecca angleicht, nehmen die Episoden ihrer Tagträume zu und werden immer gewalttätiger. Diese Vorstellungen fügen sich fließend ins Geschehen, sodass man sich immer wieder neu orientieren muss, was nur im Kopf der jungen Frau passierte und was in ihrer Realität.