Björn Höcke hat am Mittwoch nicht an einer Radio- und Fernsehrunde im Wahlkampf teilgenommen. Gesundheitliche Gründe wurden von seiner Partei genannt, der Thüringer AfD-Spitzenkandidat sei ein bisschen angeschlagen. Es sei die „momentane Gesamtbelastung im Wahlkampf“, sagte Stefan Möller, Ko-Landeschef der AfD, der Höcke in der Sendung vertreten hat.
Doch hinter der Absage scheint mehr zu stecken. Denn schon zuvor war aus der AfD zu hören, dass Höcke erschöpft sei. Und dass er über eine neue Orientierung außerhalb von Thüringen nachdenke. „Er sagt, er will nicht mehr“, heißt es in der Partei. Höcke spiele mit dem Gedanken, für den Bundestag zu kandidieren. Er habe erkannt, dass er für die AfD in Thüringen immer mehr zur Belastung werde. Das würden auch andere führende Köpfe in der Landespartei so sehen.
Manche wählen wegen Höcke AfD – andere trotz Höcke
„Machen Sie mich zum Ministerpräsidenten“, hatte Höcke Anfang Juli in einem Video gesagt. Dieses Ziel hat die AfD plakatiert, Höcke selbst nennt es immer wieder im Wahlkampf. Dass seine Chancen, Regierungschef in Erfurt zu werden, tatsächlich äußerst gering sind, weil keine Partei mit der AfD koalieren will, weiß Höcke. Auf den 52 Jahre alten Politiker würden weitere fünf Jahre als Oppositionsführer im Thüringer Landtag warten. Es ist ein Job, den er seit zehn Jahren macht und der ihn nur mäßig interessiert. Weitere fünf Jahre im Erfurter Landtag werde Höcke nicht aushalten, heißt es in der AfD.
Höckes akute Erschöpfung hat wohl tatsächlich mit dem Wahlkampf zu tun. Fast täglich hat er auf den Kundgebungen der AfD eine Stunde geredet. Hinzu komme, dass ihm die Angriffe auf seine Person zusetzten, heißt es in der AfD. Dass „Der Spiegel“ kürzlich sein Konterfei mit der Schlagzeile „Wie Faschismus beginnt“ auf der Titelseite druckte, soll den Scharfmacher verletzt haben. Schon in den Prozessen wegen der Verwendung einer verbotenen SA-Parole zeigte sich Höcke erschüttert, dass er vor Gericht stehen musste. Die Verurteilungen, die noch nicht rechtskräftig sind, thematisiert er immer noch aufgebracht in seinen Reden.
Die Fernsehauftritte Höckes im Wahlkampf gelten auch in der AfD eher als unglücklich. In einer Fernseh-Runde zeigte er sein Unvermögen, direkt auf eine konkrete Frage einzugehen. Höcke wurde gefragt, warum der AfD-Landrat in Sonneberg keine Arbeitspflicht für Asylbewerber einführe. Er weigerte sich zu antworten. Die Schwäche Höckes, wenn er nicht die Welt erklären kann, sondern konkret antworten muss, zeigte sich schon im TV-Duell mit dem CDU-Kandidaten Mario Voigt.
Höcke überlegte schon mehrmals, für den Bundestag zu kandidieren
In der AfD sind manche genervt davon, dass Höckes provokative Auftritte der Partei negativ angerechnet werden. Zwar gebe es viele Wähler, die vor allem wegen Höcke die AfD wählten. Doch gebe es auch zahlreiche, die trotz Höcke der Partei ihre Stimme geben würden.
Schon mehrfach hatte Höcke überlegt, für den Bundestag zu kandidieren. Doch 2017 war seine innerparteiliche Lage nicht gefestigt. Nach der Dresdner Rede, in der er das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ bezeichnet hatte, gab es heftige Kritik aus der Partei. Damals wurde ein Ausschlussverfahren gegen ihn angestrengt.
2021 war das anders. Höcke hatte kaum noch ernsthafte Gegner in der AfD. Er spekulierte darauf, dass die Fraktionsvorsitzende Alice Weidel nach Brüssel gehen würde und der Ko-Fraktionschef Tino Chrupalla nach Sachsen – und so eine Führungsposten in Berlin für ihn frei werde. Doch Weidel und Chrupalla kandidierten wieder für den Bundestag. Höcke habe damals gefürchtet, dass er in Berlin klein gehalten werden könnte, heißt es in der AfD. Er verzichtete darauf, sich für den Bundestag zu bewerben.
Dass Höcke seinen Wahlkreis am Sonntag direkt gewinnt, ist unsicher. Dem AfD-Vorsitzenden war das in einem Wahlkreis im Eichsfeld, wo er wohnt, zweimal nicht gelungen. Er wechselte deshalb in den 250 Kilometer entfernten Wahlkreis Greiz II. Doch dort hat der CDU-Kandidat Christian Tischner gute Chancen. Da die AfD-Kandidaten in vielen Wahlkreisen das Direktmandat gewinnen könnten, würde die Landesliste, auf der Höcke auf Platz eins steht, möglicherweise gar nicht zum Zuge kommen. Höcke hätte dann den Einzug in den Landtag verpasst.
In diesem Zusammenhang ist eine Entscheidung des AfD-Landesvorstands bemerkenswert: Er verweigerte AfD-Politikern in zwei Wahlkreisen die Zustimmung, bei der Wahl anzutreten. Ihre Bewerbungen hätten Formfehler gehabt, Unterschriften vom Landesverband hätten gefehlt. Der Ausfall dieser Kandidaten erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Thüringer AfD-Vorsitzende über die Liste einziehen kann. Höcke werde auf jeden Fall dem Landtag angehören, heißt es in der AfD. Im Zweifelsfall würde eben ein gewählter Abgeordneter zugunsten von Höcke verzichten.