Zeit, sich einzugewöhnen, Ideen in mehreren Versuchen auf ihrer Realitätstauglichkeit zu testen oder in Ruhe an der Wunschformation zu tüfteln, hat es für Horst Hrubesch in seinem aktuellen Tätigkeitsschwerpunkt zuletzt nicht gegeben. Im Oktober ist der Hamburger, der nebenbei noch das Nachwuchsleistungszentrum beim HSV anleitet, zum zweiten Mal als Interimstrainer bei den deutschen Fußballfrauen eingesprungen.
Und dass sein Aushilfsauftrag von Anfang die Maßgabe beinhaltete, auch ohne ausgiebige Übungsgelegenheiten schnell die Kurve zu bekommen und an bessere Momente anzuknüpfen, schreckte den bald 73-Jährigen nicht ab, sondern weckte ganz im Gegenteil seinen Ehrgeiz. „Es ging immer gleich rein“, schilderte er seine zumeist guten Erfahrungen aus den ersten vier Partien, aus denen er eine Erkenntnis gewann, aus der er einen Arbeitsauftrag in der Vorbereitung auf den (vorläufigen) Höhepunkt des gemeinsamen Tuns ableitete: „Wir wollen vermeiden, hinterherzurennen“, sagte Hrubesch, der eine Leistung an der Grenze zum Optimum ankündigte.
„Zu 100 Prozent“ gelte es das eigene Können abzurufen, dann werde die Mission gut gehen. „Wir sind in der Lage, selbst zu bestimmen was passiert“, kündigte er an, „wir gehen mit der Einstellung rein, unser Spiel zu machen.“
In Frankreich gefordert
Auf den Heimvorteil, der ihnen in den vergangenen Monaten manch schwere Aufgabe etwas leichter gemacht hat, können die deutschen Fußballfrauen in den kommenden Tagen nicht zählen. Um sich für Olympia als eines von zwei Teams zu qualifizieren, muss der von Hrubesch betreute 23er-Kader die Herausforderungen in einem Final-Four-Turnier mit den übrigen Nations-League-Siegern meistern, das für die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) zwei Auswärtsspiele vorsieht; wobei sie im Losverfahren eine ungünstigere Konstellation hätte erwischen können.
Zum Auftakt ihrer Woche der Wahrheit ist das DFB-Ensemble an diesem Freitag (21 Uhr in der ARD) in Frankreich gefordert – ein Konkurrent, der als Ausrichter der Sommerspiele in Paris bereits qualifiziert ist. Sollte es daher gegen „Les Bleues“ in Lyon nicht zu einem Erfolg und dem Endspieleinzug reichen, existiert eine zusätzliche Chance, sich das Glück im Spiel um Rang drei am 28. Februar entweder in Sevilla oder Heerenveen zu verdienen. Im zweiten Halbfinale treffen Weltmeister Spanien und die Niederlande aufeinander.
Beim Training am Dienstag am DFB-Campus in Frankfurt, das ausnahmsweise nicht in einen eng getakteten Terminplan eingezwängt war, übernahm Hrubesch zunächst die Beobachterrolle und ließ seine Assistenten, allen voran Julius Balsmeier, die Geschicke lenken.
Erst als die 100-minütige Einheit beendet war, übernahm Hrubesch (hörbarer) das Kommando und versammelte seine Mitstreiterinnen am Anstoßpunkt um sich. Die Botschaft, die er dabei vermittelte, spiegelte den Optimismus, mit dem er sich seit seinem Comeback in Verbandsdiensten ans Werk macht: „Wir sind uns einig, dass wir es positiv gestalten werden, wenn wir unsere Qualität auf den Platz bringen.“
Vom deutschen Aufgebot, das vor acht Jahren in Rio de Janeiro Olympia-Gold gewann, gehören einzig Kathrin Hendrich, Svenja Huth und Alexandra Popp (alle VfL Wolfsburg) sowie Sara Däbritz von Olympique Lyon noch zum Kreis der Nominierten, die jetzt die Rückkehr auf die besonders glänzend ausgeleuchtete Bühne des Weltsports realisieren sollen.
„Geht nicht um mich“
„Ich würde es auch gerne noch mal erleben“, sagte Hrubesch, der 2016 Deutschlands Fußball-Männer ins Endspiel im Maracanã-Stadion führte, das nach einer 5:6-Niederlage nach Elfmeterschießen die Silbermedaille brachte.
„Aber es geht hier nicht um mich“, fügte der frühere Ausnahmestürmer an, der davon sprach, dass „alle Mädels“ vom Elan angetrieben würden, die außergewöhnliche Stimmung im Olympischen Dorf zu erleben. Dafür ist allerdings der Einzug ins Finale am 10. August nötig, denn zuvor werden alle Turnier-Partien dezentral in den Arenen der Grande Nation ausgetragen.
Hrubesch erinnert sich gerne an die Olympia-Begegnungen mit Athleten aus aller Herren Länder und „viele leuchtende Augen“, die ihn nachhaltig „faszinierten“. Ein Sieg gegen Frankreich, einen Gegner, den er wie seine Truppe zur „Weltspitze“ zählt, würde den Weg ebnen. Schon den ersten Matchball wollten sie daher nutzen, sagte Hrubesch, der dafür auch Elfmeterschießen üben ließ.
Es mache „keinen Sinn“, in Anbetracht des individuellen Potentials, zu verlieren. Außerdem stehe in seiner Gruppe „jeder für den anderen ein“. Das deutsche Team sei ein „Gebilde, das zusammen funktioniert“, lautete Hrubeschs Ansage nach der ausgiebigen Probe aus Exempel. Den Wahrheitsgehalt der These müssen nun die Spielerinnen durch ihre Tatkraft untermauern.