Einige Zeit lang hat die Visegrád-Gruppe wie eine Kampfgruppe innerhalb der Europäischen Union gewirkt, die vor allem beim Thema Migration fest zusammenhält. Als Lautsprecher trat der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán auf, doch hatte er in der kurz V4 genannten Gruppe eben auch das Gewicht der Tschechischen Republik, der Slowakei und vor allem Polens auf seiner Seite. Doch so stabil Orbán innenpolitisch im Sattel sitzt, in den anderen Visegrád-Ländern haben sich die politischen Verhältnisse verändert, im Fall der Slowakei sogar einmal hin und wieder zurück. Das Ergebnis ist eine Gruppe, die seit Jahren gelähmt ist, weil vor allem die Frage der Ukraine sie spaltet.
Orbán trat auch nach dem russischen Überfall auf das Nachbarland als Kritiker der Ukraine auf, während er über den russischen Machthaber Putin kein kritisches Wort verliert. Ganz anders der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala, der zu den eifrigsten Unterstützern Kiews zählt. In Polen war die frühere PiS-Regierung zwar ideologisch in vielem mit Orbán einig, aber in Sachen Russland und Ukraine ganz und gar nicht mehr. Seit der liberale Donald Tusk in Warschau die Regierung führt, liegt man in jeder Hinsicht überkreuz. Dafür hat Orbán in dem slowakischen Wiederkehrer Robert Fico einen Bruder in Geist und Wort, gerade auch, was den Krieg in der Ukraine betrifft.
Fiala empfängt Tusk zunächst bilateral
Aus all diesen Gründen hat Fiala, der dieses Jahr den rotierenden Vorsitz der V4 innehat, lange gezögert, überhaupt ein Treffen der Regierungschefs anzuberaumen. Doch da nun die Regierungsbildungen sowohl in Polen als auch der Slowakei abgeschlossen sind, ist man jetzt doch zusammengetroffen. Wobei es Fiala nicht unterließ, ein Zeichen zu setzen: Ehe er sich mit den anderen in der Runde traf, empfing er Tusk zu einem bilateralen Gespräch. Der hatte sich vorab sehr skeptisch über Sinn und Zweck des Treffens geäußert und das Weiterbestehen der V4 generell infrage gestellt. Auch Fiala sagte, das werde für ihn sicher nicht das reine Vergnügen. „Aber wir müssen einen Dialog führen, jemand muss es tun.“
Nach dem V4-Gespräch klang das in einem gemeinsamen Auftritt der vier Regierungschefs schon etwas versöhnlicher. Man sei sich einig, dass die russische Aggression gegen die Ukraine eine grobe Verletzung des Völkerrechts darstelle und dass die Ukraine-Hilfe brauche, sagte Fiala. Die vier unterschieden sich aber in ihren Ansichten über die Ursachen und über die Formen der Hilfe. Prag und Warschau leisten der Ukraine auch militärische Hilfe, Ungarn und die Slowakei nicht – sie seien aber bereit sind, auf andere Weise zu helfen, auf humanitäre und finanzielle Weise, so Fiala.
Orbán sagte, für die Sicherheit Ungarns sei es wichtig, dass ein Gebiet im Osten des Landes zwischen Ungarn und Russland liege, und auch deshalb helfe Budapest der Ukraine, sagte Orbán. Er bestätigte, dass die V4 sich einig seien, dass die russische Aggression eine Verletzung des Völkerrechts sei und die Ukraine Hilfe brauche. Die V4-Länder können bei der Hilfe für die Ukraine zumindest teilweise zusammenarbeiten, und nach der Diskussion sollte die Unterstützung für das sich verteidigende Land eindeutiger sein, sagte Tusk. Fico sagte, er glaube nicht an eine militärische Lösung des Konflikts in der Ukraine. Im Gegenteil, er sei für einen sofortigen Waffenstillstand und Friedensgespräche.
Generell sagte Fiala: „Wir hatten ein sehr langes, aber auch ein sehr offenes und freimütiges Treffen, das in dieser Hinsicht sehr wichtig war.“ Neben den Unterschieden gebe es Dinge, bei denen man sich einig sei und in denen es für die vier Länder sinnvoll sei, zusammenzuarbeiten, sagte er. Vorab hatte er bereits Energie, Migrationsbekämpfung und Landwirtschaft als solche Bereiche genannt.
Fico erwähnte, dass er in der Vergangenheit an vielen langweiligen technischen V4-Treffen teilgenommen habe. „Dieses Treffen war eines der Wichtigsten. Die V4 ist eine wichtige regionale Institution.“ Vor allem, damit nicht alleine die Staats- und Regierungschefs Deutschlands und Frankreichs Kompromisse für die EU unter sich aushandelten. Auch Orbán sagte, Visegrád sei lebendig. „Das heutige Treffen hat mich davon überzeugt. Wir sind in der Lage, Meinungsverschiedenheiten zu akzeptieren, und Ungarn ist bereit, diese Zusammenarbeit fortzusetzen“, sagte er.