Die Nachricht über verstärkte Angriffe Israels auf den Gazastreifen war keine zwei Stunden alt, als die UN-Generalversammlung am zweiten Tag ihrer Dringlichkeitssitzung zur Abstimmung überging: Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen stimmten am Freitag mit der nötigen Zweidrittelmehrheit für eine Resolution zur Verbesserung der humanitären Lage im Gazastreifen. 120 Länder stimmten dafür, unter ihnen Frankreich, die arabischen Staaten und viele Länder des globalen Südens. Unter den 14 Nein-Stimmen waren unter anderem die Vereinigten Staaten, zu den 45 Enthaltungen zählte Deutschland.
Zuvor war ein Ergänzungsantrag Kanadas gescheitert, der die Hamas als Täter benannt hatte und in dem nicht nur von „Zivilisten“, die freigelassen werden sollen, die Rede war, sondern von „Geiseln“. Die nun verabschiedete Resolution verurteilt unter anderem jegliche Gewalt gegen israelische und palästinensische Zivilisten, fordert die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Zivilisten, die „illegal festgehalten“ werden, und verlangt ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe in den Gazastreifen. Außerdem ruft sie zu einer „sofortigen dauerhaften und nachhaltigen humanitären Waffenruhe“ auf.
UN-Botschafterin der USA: Resolutionsentwurf „zutiefst fehlerhaft“
Kanada enthielt sich in der Abstimmung über die Resolution schließlich. Der kanadische UN-Vertreter, Bob Rae, hatte zuvor gesagt, die UN-Generalversammlung könne nicht handeln, „ohne die schrecklichen Ereignisse des 7. Oktober zu nennen und ohne die Terroristen zu verurteilen, die dafür verantwortlich sind“. Die Generalversammlung habe die „Pflicht“, diese Dinge zu benennen.
Auch die UN-Botschafterin der Vereinigten Staaten, Linda Thomas-Greenfield, hatte in einer Rede am Mittag klar gemacht, dass Amerika die Resolution trotz mehrerer Überarbeitungen nicht unterstützen werde. Die Terrororganisation Hamas nicht beim Namen zu nennen und die verschleppten Geiseln nicht als solche zu bezeichnen – es ist von „Zivilisten“ die Rede – seien „böse Auslassungen“. Der Resolutionsentwurf sei „zutiefst fehlerhaft“. Derlei einseitige Vorschläge würden nicht helfen, den Frieden voranzubringen.
Keine einheitliche Position der EU
In New York zeigten sich die Schwierigkeiten der Europäischen Union, nach den Terroranschlägen der Hamas eine gemeinsame Haltung zu finden, auf ein Neues: Es gab keine einheitliche Position zu der Resolution. Auffällig war dabei auch die Enthaltung Deutschlands. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatten sich darauf am Freitag verständigt, die Koalitionsfraktionen waren informiert worden. Im Koalitionsvertrag hat die Ampel festgeschrieben, sich allen Versuchen zu widersetzen, Israel in internationalen Organisationen zu diffamieren: „Wir machen uns stark gegen Versuche antisemitisch motivierter Verurteilungen Israels“, auch in den Vereinten Nationen.
In Berlin sieht man die Enthaltung und die Arbeit am Resolutionstext in genau diesem Licht. Baerbock äußerte, es gehöre zum „Drehbuch und Kalkül“ der Terroristen der Hamas, „tiefe Gräben“ aufzureißen. Sie wollten einen „Keil des Hasses zwischen uns“ treiben. Dem stelle man sich entgegen. „Wir konnten in New York erreichen, dass wichtige Punkte wie eine klare Verurteilung aller Terrorakte und zumindest ein Ruf nach Freilassung der Geiseln enthalten sind.“ Weil die Hamas jedoch nicht klar benannt, die Freilassung aller Geiseln nicht deutlich genug gefordert und das Selbstverteidigungsrecht Israels nicht bekräftigt werde, habe man sich dazu entschieden, der Resolution am Ende nicht zuzustimmen.
Heftige Kritik von Israels Ständigem Vertreter
Der deutschen Enthaltung waren in den vergangenen Tagen intensive Verhandlungen über den Resolutionstext vorangegangen. Die Bereitschaft zur Arbeit an dem Text allein schon sollte ein Signal an die Staaten in der Region sein, allen voran Jordanien. Dass man ohne diese Länder bei der Lösung des Konflikts – oder zumindest dem Versuch, eine Ausweitung zu vermeiden – nicht weiterkommt, ist in Berlin klar. Darauf deuten die Reisen des Bundeskanzlers und der Außenministerin in die Region ebenso hin wie das Vorgehen bei den Vereinten Nationen.
Der kanadische Ergänzungsantrag, den Deutschland zunächst als maßgeblich für seine Entscheidung erachtet hatte, wurde am Freitag nicht angenommen. Donnerstagnacht wurde nach den Verhandlungen jedoch ein zweiter Entwurf der Resolution vorgelegt. Dort steht nun klar, dass die Angriffe der Hamas am 7. Oktober den Beginn der jüngsten Eskalation darstellten. Es ist auch die Rede von „Terrorakten“; diese werden verurteilt. Das ist mehr als in der ersten Fassung und doch weniger deutlich als die deutsche Position.
Frankreich wiederum stimmte am Freitag für die Resolution. UN-Botschafter Nicolas de Rivière äußerte danach, man habe sich dazu entschlossen, weil „nichts die Tötung von Zivilisten rechtfertigt“. Man müsse gemeinsam an einem Waffenstillstand arbeiten und die UN müssten die Freilassung der Geiseln fordern. Man habe die „Pflicht, eine Verschlechterung der Lage zu verhindern“. Die Resolution könne jedoch nicht die Bemühungen des UN-Sicherheitsrats ersetzen. Dieser hatte sich in der vergangenen Woche in drei Fällen nicht auf einen Resolutionsentwurf zu Verbesserung der humanitären Lage in Gaza einigen können. Im Gegensatz zur Generalversammlung wäre dieser bindend, kann aber von jedem der fünf Vetomächte blockiert werden.
Israels Ständiger Vertreter, Gilad Edan, hatte zu Beginn der Dringlichkeitssitzung der Generalversammlung am Donnerstag heftige Kritik an den Vereinten Nationen geübt. Die Organisation sei korrumpiert und es sei unglaublich, dass ein solcher Resolutionsentwurf überhaupt eingebracht werden dürfe. Nach der Abstimmung am Freitag sprach er von einem „dunklen Tag für die Vereinten Nationen und die Menschheit“. Sie alle hätten gesehen, „dass die UN nicht einmal einen Hauch von Legitimität besitzen“. Gehe es nach ihnen, habe Israel „kein Recht auf Selbstverteidigung“.