Wenn‘s läuft, dann läuft’s. Wer kennt es nicht, dieses Gefühl, dass für eine Zeitlang alles zu packen ist, was man anfasst. Ein solches Erfolgserlebnis im Beruf und sonstigem Leben geht leider, leider oft allzu schnell vorbei. Dann herrscht wieder grauer Alltag, Plackerei, und alles läuft so lala. Alexander Zverev ist momentan in der glücklichen Lage, dass ihm alles irgendwie gelingt. Zwar gelegentlich mit letzter Mühe und Not wie bei seinen zwei Fünfsatzsiegen in den Runden drei und vier beim Grand-Slam-Turnier in Paris und in so manchem Tiebreak; aber auch mit spielerisch überzeugenderen Leistungen wie am späten Mittwochabend gegen Alex de Minaur.
Durch seinen 6:4, 7:6 (7:5), 6:4-Viertelfinalerfolg gegen den Weltranglistenelften aus Australien, der eine halbe Stunde vor Mitternacht feststand, schraubte der beste deutsche Tennisprofi seine aktuelle Siegesserie auf elf Matches nacheinander. Erst der Triumph Mitte Mai beim Masters-Turnier in Rom, nun der dritte Halbfinaleinzug beim wichtigsten Sandplatzturnier der Welt. Für Zverev läuft’s. „Ich hoffe, ich gewinne auch mal ein Halbfinale“, sagte der Weltranglistenvierte.
Nun darf sich Casper Ruud als nächster Gegner darin versuchen, die Erfolgswelle des Deutschen zu brechen. Andersherum wird auch ein Schuh draus, ist doch auch der Norweger selbst nach seinem Turniersieg in Genf unmittelbar vor Roland Garros seit acht Matches ungeschlagen; bei Nummer neun kam ihm zugute, dass sein vorgesehener Viertelfinalgegner Novak Djokovic in Paris wegen Verletzung nicht hatte antreten können. Gewönne Zverev, würde er also seinerseits zum Serienzerstörer werden.
Souveräner dritter Durchgang
Mit de Minaur lieferte sich der Olympiasieger einen immer packenden und weitgehend ansehnlichen Schlagabtausch, der einige spektakuläre Ballwechsel bot. Das einzige Manko auf beiden waren die eigenen Aufschlagspiele, die oft mit Müh und Not gewonnen wurden – oder gar nicht. Weil Zverev im ersten Satz ein Break mehr gelang, ging er 6:4 in Führung. Im zweiten Durchgang nahm er seinem australischen Gegner, der mit großem Lauf – und Spielvermögen auffiel, den Aufschlag zur 3:2-Führung ab; doch postwendend gab der Deutsche den Vorteil wieder aus der Hand, sodass letztlich der Tiebreak entscheiden musste.
Dort konnten beide ihr vorheriges Niveau nicht halten und produzierten Fehler auf Fehler: zunächst Zverev, bis er 0:4 zurücklag, dann de Minaur, sodass der Deutsche den Tiebreak zum 7:5 vollenden konnte. Seine beeindruckende Bilanz konnte der 27-Jährige damit ausbauen: Von 25 Tiebreaks in Paris mit seiner Beteiligung hat er nun 23 gewonnen.
Dadurch schien Zverev dem Widerstand de Minaurs einen kleinen, entscheidenden Knacks gegeben zu haben und den dritten Durchgang souverän zu Ende zu bringen. Beim Stand von 5:3 schaffte er es jedoch nicht, erfolgreich zum Matchgewinn zu servieren. Ein paar Minuten später, nach 2:59 Stunden Spielzeit verwandelte Zverev seinen ersten Matchball. „Ich würde gerne manchmal etwas aggressiver spielen. Aber was soll’s, ich bin im Halbfinale“, sagte Zverev.
Nun wartet also wieder Casper Ruud, wie im vergangenen Jahr an selber Stelle und in selber Runde. Das damalige Aufeinandertreffen endete für Zverev zwar nicht so übel wie das Halbfinale 2022 gegen Rafael Nadal, als er umknickte und er sich mehrere Bänder im Sprunggelenk riss. Aber beim 3:6, 4:6, 0:6 anno 2023 hatte der Deutsche mit Oberschenkelbeschwerden zu kämpfen, nach eigenen Angaben eine Zerrung. Im Finale unterlag Ruud dann Djokovic, ein Jahr zuvor hatte er im letzten Turnierspiel gegen Nadal verloren. Damit war der 25-Jährige schon zweimal in Paris und einmal 2022 in New York dort, wo Zverev nur einmal bei den US Open 2020 war – im Endspiel eines der vier Grand-Slam-Turniere.
Der Sieger aus dem deutsche-norwegischen Duell wird es mit dem kommenden Weltranglistenersten Jannik Sinner (Italien) oder dem Spanier Carlos Alcaraz zu tun bekommen, die am Freitag im anderen Halbfinale aufeinandertreffen. Sollte Alexander Zverev seine Serie auf dreizehn Matchgewinne ausbauen – er wäre am Ziel seiner Träume.