Ein Gefühl der Bedrohung breitet sich am Montag langsam in Libanon aus. Schon am Morgen werden heftige Luftangriffe aus Südlibanon und der Bekaa-Ebene gemeldet. Es schlägt im Bergland ein, aber auch in den Dörfern. Das Bombardement zieht sich über den Tag, schon am frühen Nachmittag meldet das libanesische Gesundheitsministerium mindestens hundert Tote und Hunderte Verletzte. Im Laufe des Tages steigen die Zahlen immer weiter.
Bewohner in verschiedenen Teilen Libanons erhalten am Morgen Warnungen aus Israel: Sie sollen ihre Häuser verlassen, wenn diese in der Nähe von Einrichtungen der Hizbullah liegen. Weil aber nur Eingeweihte wissen, wo die Hizbullah ihre Waffen versteckt, ist es eine Aufforderung zur Flucht. Tausende brechen auf in Richtung Norden. Fernsehbilder zeigen lange Autoschlangen, während nicht weit von der Fahrbahn entfernt die typische Staub- und Rauchwolke aufsteigt, die den Einschlagsort einer Rakete anzeigt. „Non-Stop-Luftangriffe, Massenvertreibung“, schreibt eine Korrespondentin des Senders Al-Jazeera.
Während die Leute aus dem Süden sich auf den Weg in Richtung der Hauptstadt Beirut machen, verbreitet sich dort die Nachricht, dass sich die Warnungen nicht auf den Süden Libanons beschränken, der schon lange Kriegsgebiet ist. Auch Leute in der Hauptstadt erhalten am Montag die dringende Aufforderung, sich schnell zu entfernen. Solche Nachrichten gehen auch im Informationsministerium ein, das zur Evakuierung aufgefordert wird. Der Informationsminister bestätigt später, Mitarbeiter hätten eine aufgezeichnete Sprachnachricht entgegengenommen. Er spricht von „psychologischer Kriegsführung“ Israels.
Schulen werden geräumt, manche verlassen ihre Viertel
In Dahiyeh, den südlichen Vorstädten von Beirut, in denen die Hizbullah herrscht, ist da schon von „Kriegsstimmung“ die Rede. Schulen werden geräumt, manche verlassen ihre Viertel, weil auch dort überall Hizbullah-Einrichtungen liegen. „Die Straßen sind relativ leer“, berichtet ein Einwohner am Telefon. „Viele bereiten sich noch vor, zu gehen. Die Leute sind aufgebracht. Das ist ernst.“
Seit Tagen verschärft Israel sein Vorgehen gegen die Hizbullah. Schon am Sonntag flog die Luftwaffe die massivsten Angriffe seit dem Beginn des Krieges an der israelisch-libanesischen Grenze am 8. Oktober. Die breit gestreuten Angriffe und die Evakuierungsaufforderungen vom Montag sind eine weitere Eskalationsstufe. Die israelische Armee gibt am Nachmittag an, sie habe seit dem Morgen etwa 800 Ziele der Hizbullah in Libanon attackiert. Der israelische Armeesprecher Daniel Hagari beteuert, dass „jedes Haus“, das getroffen worden sei, als Waffenlager der Hizbullah gedient habe.
Zugleich gibt Hagari eine neue Warnung aus, dieses Mal an die Bewohner der Bekaa-Ebene im Osten des Landes: Auch sie sollten sich unmittelbar von Hizbullah-Stellungen entfernen. Sie könnten selbst sehen, was Israel gerade im Süden vollführe, sagt Hagari. Das gleiche werde auch in der Bekaa-Ebene geschehen: „Die Hizbullah lagert dort strategische Waffen in zivilen Gebäuden, benutzt die Bevölkerung als menschlichen Schutzschild und bringt sie wissentlich in Gefahr.“ Die Rhetorik der israelischen Armee beginnt derjenigen mit Blick auf die Hamas und den Gazastreifen zu ähneln – das lässt Schlimmes für die Zivilbevölkerung befürchten, wenn auch die angeblichen „Präzisionsschläge“ ähnlich ausfallen. Am Nachmittag gab es Angriffe auf mehrere Dörfer in der Bekaa-Ebene. Am frühen Abend wurde ein Luftangriff auf den Süden von Beirut gemeldet.
„Die schwerste Woche in der Geschichte der Hizbullah“
Den Attacken gingen weitere Warnungen und Drohungen vonseiten Israels voraus. Generalstabschef Herzl Halevi kündigte am Sonntagabend an, der Hizbullah würden so lange Schläge versetzt, bis sie verstanden habe, dass Israels Armee die sichere Rückkehr der vertriebenen Bewohner Nordisraels erreichen werde. Die Gegend entlang der Grenze war auch am Montag das Ziel von Beschuss seitens der Hizbullah.
Zugleich beteuerten Vertreter Israels, dass das Land keinen vollumfänglichen Krieg anstrebe. Allen voran Präsident Izchak Herzog, der in den vergangenen Tagen wieder viel unternahm, um die kriegerischen Schritte seines Landes zu erklären und zu rechtfertigen. Israel wolle keinen Krieg, schrieb er am Montag auf der Plattform X. Aber was solle es tun, wenn die Hizbullah „Tausende und Abertausende von Langstreckenraketen in Wohnzimmern, Schlafzimmern und Küchen“ lagere und dann abfeuere, „mit dem einzigen Ziel, unser Volk zu töten“?
Tatsächlich lautete eine der ungeschriebenen Regeln des Schlagabtauschs zwischen der Hizbullah und Israel bislang, dass es keine gezielten Angriffe auf die Zivilbevölkerung geben soll. Auch hat die Hizbullah ihr Arsenal von Langstreckenraketen bis dato nicht zum Einsatz gebracht. Aber Israel versucht nun offenbar, die Regeln zu ändern. Seitdem vor einer Woche zig Funkgeräte und Pager zur Explosion gebracht wurden und Tausende Menschen verwundeten, hat die Schiitenorganisation mehrere schwere Hiebe einstecken müssen. „Diese Woche war die schwerste Woche in der Geschichte der Hizbullah“, sagte Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant am Sonntagabend rückblickend.
„Neue Phase“ des Krieges
In Israel rufen manche nun nach noch massiveren Offensivaktionen. Mehrere Kabinettsmitglieder sprachen sich für eine weitere Eskalation aus, mit dem Ziel, die Hizbullah endgültig zu besiegen. Der Abnutzungskrieg im Norden müsse ein Ende haben. Die israelische Armee plane bislang aber keinen Einsatz von Bodentruppen, der dafür erforderlich wäre, heißt es in Medienberichten. Auch versuchen Verbündete wie die Vereinigten Staaten, ein solches Szenario zu verhindern. Sie setzen weiter auf eine diplomatische Lösung.
Die Hizbullah wiederum hat klar zu verstehen gegeben, dass sie nicht nachgeben will. Am Sonntag tritt die Nummer zwei der Organisation, Naim Qassem, bei einer großen Beerdigung auf. Er hält eher eine Grundsatzrede als eine Traueransprache, spricht von einer „neuen Phase“ des Krieges, einem „Kampf der Abrechnung mit offenem Ende“. Schon da ist die Stimmung angespannt nach einer Woche mit harten israelischen Schlägen und einem Gegenschlag der Hizbullah, der tief ins israelische Landesinnere reichte.