Der amerikanische Präsident Joe Biden hat mit dem britischen Premierminister Keir Starmer über die militärische Unterstützung der Ukraine im russischen Angriffskrieg gesprochen. Nach dem Treffen am Freitagnachmittag im Oval Office gab es kein Signal, dass Washington bald den Einsatz amerikanischer Raketen mit großer Reichweite auf russischem Gebiet genehmigen könnte. Kiew wünscht sich das. Eine Pressekonferenz gab es nach dem Treffen nicht.
Vor Beginn des Gesprächs der beiden Regierungschefs sagte Starmer im Oval Office, in der Ukraine würden „die nächsten Wochen und Monate“ entscheidend sein; es sei sehr wichtig, dass der Westen die Ukraine unterstütze. Beim Verlassen des Weißen Hauses ergänzte der Premier, es sei nicht um eine konkrete Entscheidung gegangen. Man werde die Frage während der UN-Generaldebatte Ende des Monats in New York weiter erörtern.
Zuvor hatte schon John Kirby, der Sprecher der Nationalen Sicherheitsrates, gesagt, er erwarte nicht, „dass heute eine Ankündigung über den Einsatz weitreichender Waffen innerhalb Russlands gemacht wird – ganz sicher nicht von den Vereinigten Staaten“. Es gebe keine Veränderung bei der Position der amerikanischen Regierung. Auf die Frage, ob London oder Paris eine Einwilligung Washingtons bräuchten, Kiew den Einsatz von Raketen aus eigener Produktion zu gestatten, sagte Kirby, man spreche weiter mit beiden Ländern und anderen Verbündeten über „die Art der Fähigkeiten, die der Ukraine zur Verfügung gestellt werden“. Kirby wollte sich nicht darüber auslassen, ob Washington es ankündigen würde, wenn es eine Änderung gäbe. „Ich werde mich nicht auf eine hypothetische Diskussion darüber einlassen, was wir zu einem bestimmten Zeitpunkt sagen oder nicht sagen werden.“
Was die Ukraine schon darf und was nicht
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert seit Monaten, den französisch-britischen Marschflugkörper des Typs Scalp/Storm-Shadow und amerikanische ATACMS-Artillerieraketen in Russland einsetzen zu dürfen. Ziel Kiews sei es, die russische Logistik zu stören und Militärflugplätze der Luftwaffe weit hinter der russisch-ukrainischen Grenze anzugreifen. Washington beschränkt den Einsatz von Waffen aus amerikanischer Produktion bislang auf die Abwehr der russischen Offensive gegen die ostukrainische Stadt Charkiw.
Die Regierung in London äußerte sich bislang nicht zu der Frage, was sie der Ukraine mit den von ihr zur Verfügung gestellten Marschflugkörpern konkret gestatte. Die Zeitung „The Guardian“ hatte mit Bezug auf Quellen in der britischen Regierung berichtet, London habe entschieden, der Ukraine den Einsatz der Marschflugkörper mit einer Reichweite von mindestens 250 Kilometern gegen Ziele auf russischem Boden zu erlauben. Außenminister David Lammy deutete aber während eines Kiew-Besuchs an, dass die Diskussionen noch über Freitag hinaus gehen könnten. Starmer sagte auf dem Flug nach Washington vage: „Natürlich werden wir über viele Dinge im Allgemeinen sprechen, aber es handelt sich nicht um eine Art von einzelnen Entscheidungen, zu denen wir kommen wollen. Es geht darum sicherzustellen, dass alle Entscheidungen, die wir treffen, im strategischen Kontext stehen.“
Auch Paris stellt Kiew seit gut einem Jahr im Schulterschluss mit London Marschflugkörper zur Verfügung. Biden hatte kürzlich gesagt, man prüfe die Anfrage.
Putin will abschrecken
Der russische Machthaber Wladimir Putin warnte den Westen vor einer Genehmigung weitreichender Angriffe. Das würde die Länder, welche die Ukraine mit solchen Waffen belieferten, direkt in den Konflikt hineinziehen und dessen Wesen bedeutend verändern. Wörtlich sagte er: „Das würde bedeuten, dass NATO-Staaten, Amerika und europäische Länder, im Krieg mit Russland wären.“ Moskau würde gezwungen sein, auf diese neue Bedrohung entsprechend zu reagieren.
Kirby entgegnete mit Blick auf frühere nukleare Drohungen Putins, man habe solche Äußerungen schon früher gehört. Das bedeute aber nicht, dass man sie nicht ernst nehme. Amerika mache gleichwohl seine eigenen Kalkulationen.
Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius vertrat am Freitag die Auffassung, eine mögliche Erlaubnis von NATO-Partnern zum Einsatz weitreichender Waffen gegen Ziele in Russland sei durch das Völkerrecht gedeckt. Auch wies er Putins Drohung zurück, dass sich die NATO dann im Krieg mit Russland befinden würde. Berlin liefert solche Waffen mit großer Reichweite nicht, obwohl die Ukraine mehrfach um Marschflugkörper vom Typ Taurus gebeten hatte. Bundeskanzler Olaf Scholz lehnte die Forderung ab, obwohl sie im Auswärtigen Amt und auch im Verteidigungsministerium unterstützt wurde.