Eigentlich gehört die Schuldenbremse seit vielen Jahren zum Markenkern von CDU und CSU. Gemeinsam mit der FDP verteidigt die Unionsführung sie deshalb eisern. Doch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, durch das Löcher im Umfang von vielen Milliarden in den Haushalten entstanden sind, hat die Debatte über eine Reform der Schuldenbremse auch die Union erreicht.
Den Anfang machte am Donnerstag der Berliner Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU). Die Schuldenbremse sei zwar im Grundsatz eine gute Idee. „Ihre derzeitige Ausgestaltung halte ich allerdings für gefährlich“, äußerte Wegner auf der Plattform X und in einem Interview mit dem „Stern“. Aus den normalen Haushalten könne man die „Megabedarfe“ für den Klimaschutz, die bröckelnden Verkehrswege, marode Schulen oder den Umbau der Energieversorgung nicht leisten. Die Schuldenbremse werde so zu einer „Zukunftsbremse“, man müsse sie reformieren, damit die Investitionen möglich seien.
Wegner gegen Merz
Wegner hatte sich schon mehrfach gegen CDU-Parteichef Friedrich Merz gestellt. Und bekam auch gleich Kritik vom Chef der Jungen Union, Johannes Winkel, der davor warnte, dass die CDU „in der Finanzpolitik Inhalte und Rhetorik der politischen Linken“ übernehme. Denn die Reform der Schuldenbremse wird bisher vor allem von den Grünen und der SPD gefordert.
Doch steht der Berliner Regierungschef mit seiner Sicht bei weitem nicht allein in der Union. Gleich zwei ostdeutsche Ministerpräsidenten der CDU unterstützen Wegner. So zeigte sich der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer von der CDU gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (F.A.S.) offen dafür, mit der Ampel-Regierung über eine Reform der Schuldenbremse zu verhandeln. Wenn die Bundesregierung zu einem wirklichen Sparkurs bereit sei, „dann müssen wir helfen“, sagte Kretschmer. Am Ende eines gemeinsamen Prozesses „kann dann ein Pakt für Deutschland stehen – und vielleicht ein Gespräch über eine Veränderung der Schuldenbremse“. Wenn die Bundesregierung dazu die Kraft habe, „sollten wir alle mitwirken“, so der sächsische Ministerpräsident.
Kretschmer kann sich dabei auf Unterstützung des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, verlassen. Haseloff setzt sich noch deutlicher dafür ein, den Artikel 115 des Grundgesetzes, in dem die Schuldenbremse festgelegt ist, langfristig so zu reformieren, dass Investitionskredite wieder möglich werden. „Die Schuldenbremse muss bleiben. Aber für sehr wichtige Zukunftsinvestitionen in Wirtschaft, Technologie und Wissenschaft müssen verfassungskonforme Möglichkeiten gefunden werden“, sagte Haseloff der F.A.S. Schon 2022 hatte Haseloff das einmal gefordert. In Magdeburg will die Bundesregierung die Ansiedlung des amerikanischen Chip-Herstellers Intel mit 10 Milliarden Euro unterstützen, Haseloff zeigte sich zuversichtlich, dass die Förderung wie versprochen zustande kommt. Für das Jahr 2024 solle die Schuldenbremse durch Ausrufung einer Notlage gelöst werden – eine Forderung, die bisher vor allem von der SPD erhoben wird.
Kretschmer sieht die Lage nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts als dramatisch an. Was die Ampelkoalition dem Land eingebrockt habe, könne „Deutschland für Jahrzehnte lähmen“, das Vertrauen in den Staat und die Demokratie „in den Grundfesten erschüttern“. Kretschmer, der im September 2024 Landtagswahlen zu bestehen hat, sieht sein Angebot an die Bundesregierung, die Krise gemeinsam zu bewältigen, als notwendig an, damit extremistische Kräfte nicht stärker würden. „Denn wenn wir Demokraten nicht zusammen eine Lösung finden, wird das die Extremisten stärker machen“, sagte er. In den Umfragen ist die AfD in Sachsen derzeit die stärkste Kraft.
Kretschmer: Keine Erhöhung von Sozialausgaben
Kretschmer macht sein Angebot an die Bundesregierung allerdings von einigen Voraussetzungen abhängig. Die Ampel müsse jetzt Prioritäten setzen. Zum nötigen Sparkurs gehöre es, die Sozialausgaben nicht weiter zu erhöhen, die heute in einigen Landkreisen Sachsens höher seien als zur Zeit der Massenarbeitslosigkeit nach der Wiedervereinigung. „Wir dürfen deshalb jetzt nicht mehr Bürgergeld in Milliardenhöhe an Leute auszahlen, die nicht arbeiten wollen“, sagte Kretschmer. Und es dürfe nicht sein, „dass wir eine halbe Milliarde allein für die Verwaltung der neuen Kindergrundsicherung ausgeben“. Wenn die Bundesregierung solche bitteren Wahrheiten zur Kenntnis nehme, dann werde die Union dazu beitragen, „dass der finanzielle Spielraum entsteht, den man braucht“.
Zwar wird die Forderung nach einer Reform der Schuldenbremse nun aus den ostdeutschen Landesverbänden der Union laut, doch sind die Überlegungen auch der West-CDU und der CSU nicht fremd. Wie die F.A.Z. erfuhr, gibt es in der bayerischen Staatsregierung die Ansicht, dass man langfristig nicht über eine Neubestimmung der Schuldenbremse herumkommen wird, um nicht in eine Zukunftskrise zu geraten.
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst von der CDU sagte am Freitag vor der Sitzung des Bundesrates, die Schuldenbremse sei als Prinzip gut und richtig. Sie sei ein „Schutzwall gegen die Übergriffigkeit der gegenwärtigen Regierung in das Portemonnaie künftiger Regierungen“. Wüst forderte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf, zu sagen, was noch gehe und was nicht und wie das Land durch die schwierige Zeit komme. Es sei jetzt nicht die erste Frage, wo man wieder Geld herhole. „Jeder Mensch, der pleite ist, muss sich erstmal ehrlich machen und das gilt auch für die Bundesregierung.“