Das seit dem Jahr 2020 olympische Sportklettern ist die Randsportart schlechthin: In keiner anderen Disziplin können Athleten von den aufgeklappten Bahnen leichter herunterfallen. Beim Radrennen, beim Reiten oder beim Surfen ist das Bodenniveau nicht annähernd so fern.
In Le Bourget wurde eigens eine Kletteranlage geschaffen, die aussieht wie ein Amphitheater mit rätselhaftem Bühnenbild. Darin wird es bei den Olympischen Spielen von Montag an für die drei deutschen Teilnehmer und für alle anderen Hochleistungskletterer darum gehen, mit Seilen gesichert in wenigen Sekunden eine fünfzehn Meter hohe, um fünf Grad geneigte Kletterwand emporzuklimmen (Speed), in etwa fünf Minuten möglichst viele Kletterrätsel auf einer knapp fünf Meter hohen Fläche zu durchsteigen (Bouldern) und zuletzt auf einer 15 Meter hohen, in ihrer Neigung anwachsenden Schräge möglichst viele Kletterpunkte zu sammeln (Lead).
Jubelnd am Seil hinunter
Gerade Letzteres ist brutal anstrengend. Das Sportklettern ist eine der wenigen Sportarten, die in die Höhe streben. Doch das Ziel besteht nicht darin, am Schluss triumphierend auf dem Gipfel zu stehen. Wenn alles gut geht, erreicht man den höchsten Punkt einer Wand nur mit den Fingern – und lässt sich anschließend fallen.
Selten wird bei einem seilgesicherten Absturz so intensiv gejubelt. Unterhaltsam ist es, den Athleten dabei zuzusehen, wie sie sich beim Bouldern und Lead zum ersten Mal die noch unbekannte Kletterwand erarbeiten. Sie stehen dann wie eine Figur von Caspar David Friedrich vor einem bunten Gemälde von Joan Miró und antizipieren mit marionettenartigen Hand- und Beinbewegungen den vermeintlich optimalen Parcours durch das Formengewimmel.
Auf die Wandhaftung kommt es an
Als Ausrüstung benötigt der Kletterer vor allem kurze Fingernägel, leichte Kletterschuhe und einen Sack mit Magnesiumcarbonat (Magnesia) – für die bessere Haftung. Es wird viel eingestaubt in dieser Sportart. In vielem wirkt das Klettern wie die Parodie anderer Sportarten: Das Speed Climbing etwa, das eher zu den beutelosen Jagd- als den Fluchtsportarten gehört, scheint bei Draufsicht den Hürden- oder Slalomlauf nachzuahmen. Beim Bouldern und beim Lead wird zugepackt wie beim Ringen, sich gespreizt wie beim Sumo, allerdings ist der Gegner in Form der Wand eher ein Partner. Wie beim Tanz werden die ungewöhnlichsten Verrenkungen gezeigt, die dann jedoch zum Luftholen für einige Momente eingefroren werden.
Statt der Boden- steht überall die Wandhaftung im Vordergrund, was der Sportart immer gleich etwas Superheldenhaftes verleiht: Spiderman! Das hat vermutlich dazu beigetragen, dass sich das Klettern gerade unter jungen Menschen zur Trendsportart entwickelt hat. Wie im Videospiel sind Schnelligkeit und Geschicklichkeit in einer Parallelwelt gefragt, die Wettkampfverläufe sind in ihrer Kürze und Dramatik Tiktok-kompatibel.
In Tokio 2020 ließ die Bildregie noch etwas zu wünschen übrig. Da die Neigungswinkel der Kletterwände je nach Einstellung oft nicht erkennbar sind, sieht im Fernsehen alles so einfach aus. Dabei dürften die Kamerafahrten gerade beim Speed und beim Lead noch viel rasanter sein. An Cliffhangern wird es nicht mangeln.