Kaum heißt es, der Frühling kommt, schon fangen die Leute an zu schwärmen. Alle wollen raus. Klettern, laufen, rumhocken, einfach nur genießen. Für Kinder ist das ganze Jahr irgendwie Frühling. Die Frühlingsgefühle, die mit dem Erwachsenwerden kommen, sind da anders. Jedenfalls ist es nicht so sehr der Spieltrieb, der die Großen ins Freie treibt. Sie werden nicht von innen heraus getrieben, sondern quasi von ganz weit draußen: Die Sonne legt bei den Leuten einen Schalter um. Schon die Aussicht auf ein paar sonnige Tage hintereinander lässt ihre Herzen plötzlich höher schlagen. Erwachsene sind, wenn es um Gefühle geht, sehr viel anfälliger als Kinder, extrem sonnenfühlig. Jedenfalls fremdgesteuert.
Der Frühling tut allerdings nicht wirklich weh. Mit einer Ausnahme: Leute, die an einer Frühjahrsmüdigkeit leiden und sich ständig matt und schläfrig fühlen, können sich über die frischen Farben in der Natur und die Wärme nach dem langen Winter nicht richtig freuen. Unter hundert Menschen sind das aber nur ein paar wenige. Für sie ist der Frühling wirklich kein Vergnügen. Die anderen, die allermeisten Menschen, wollen dagegen eigentlich gar nicht mehr schlafen gehen, wenn der Frühling anklopft. Denn so wie die Frühjahrsmüden ihren Körper verfluchen, so fangen alle anderen an, ihren Körper zu lieben. Und das ist buchstäblich so.
Der Körper produziert plötzlich viel mehr Hormone, das „Glückshormon“ Serotonin zum Beispiel im Gehirn. Es durchströmt dann mit dem Blut den gesamten Körper. Oft liest man immer noch, dass die plötzliche Wärme im Frühjahr die Produktion der Hormone antreibt. Das ist falsch. Wäre es so, müssten die Menschen in Äquatornähe mit ihren kühlen Nächten und heißen Tagen jeden Morgen nach dem Aufstehen von Glückshormonen überflutet werden.
Ein Schalter im Erbgut
Vermutlich kommt das Missverständnis auch daher, dass die Erwärmung der Erde tatsächlich etwas mit dem Frühling anstellt. Unser Frühling beginnt nämlich seit Jahrzehnten immer früher. Alle zehn Jahre beginnt der Frühling im Durchschnitt fast zwei Tage früher. Das ist nicht der Kalenderfrühling. Der orientiert sich an der Umlaufbahn der Erde um die Sonne und fällt immer gleich auf den 20. März. Der „phänologische“ Frühling jedoch, der sich mit dem Klimawandel Tag für Tag nach vorne schiebt, wird nicht an Planeten oder der Sonne bestimmt. Er lässt sich am Beginn der Blüte festmachen, beispielsweise von Apfelbäumen. Die Blumen und Bäume spüren die Wärme und reagieren darauf, wenn sie früher kommt.
Die Hormone des Menschen dagegen sind gegenüber Wärme viel unempfindlicher. Wir sind selbst schon warmblütig und deshalb von höheren Temperaturen schwerer zu beeindrucken. Die Wirkung des Sonnenlichts aber ist uns quasi in die Wiege gelegt. Wenn die Tage heller werden und die Sonne länger scheint, werden unsere Hormondrüsen aktiv. Das ist bei uns nicht anders als bei Tieren. Der Schalter für Frühlingsgefühle ist also offensichtlich auch schon sehr früh in der Evolution des Lebens installiert worden. Wir tragen ihn quasi im Erbgut mit uns herum. Aktiviert aber wird er durch das Sonnenlicht erst, wenn der Körper auch reif genug ist, die entsprechenden Hormone herzustellen. Und zwar in solchen Mengen zu produzieren, dass die Leute plötzlich ganz kirre werden vor Glück und Sehnsucht. Sie fangen auf einmal an zu flirten, was das Zeug hält, laufen leicht bekleidet durch die Straßen und liegen auf den Wiesen, sehen alles plötzlich durch die rosarote Brille. Die Engländer nennen das völlig zutreffend spring fever – Frühlingsfieber.
Hormon-Herrschaft im Kopf
Wo genau der Frühlingsgefühle-Schalter liegt, ist nicht ganz sicher. Die Zirbeldrüse im Kopf, eine kleiner Zapfen aus Nervenzellen mitten im Gehirn, spielt sicher eine ganz wichtige Rolle. Früher war das einmal das dritte Auge. Früher, das war in der großen Reptilien-Epoche, als die Dinos noch die Erde beherrschten. In Neuseeland lebt heute noch ein kleiner Saurier, der an der Stelle der Zirbeldrüse ein lichtempfindliches drittes Auge besitzt: Der Tuatara, die Brückenechse. Die Sonne legt im Kopf aber nicht nur den Frühlingsschalter um, sondern auch den Winterschalter.
Im Winter, wenn es eher dunkel ist, wird im Gehirn ein anderes Hormon produziert, das uns so richtig schläfrig macht: Melatonin. Die Zeit des Melatonins läuft allerdings schnell ab, sobald der Frühling kommt. Dann wechselt das Hormon-Regime im Kopf. Damit sind wir wieder bei den Menschen, die unter dem Frühling leiden: Sie haben, obwohl man das noch nicht so ganz genau weiß, offenbar Probleme damit, genau diese Umstellung von Melatonin auf Serotonin zu bewältigen. Es sind eben nicht alle Menschen gleich.