Sie spricht leise, wie alle Göttinnen. Als sich am Ende der Prêt-à-porter-Woche, nach der Schau von Miu Miu, die Gäste um Miuccia Prada drängen, ist sie kaum zu verstehen. So viel aber wird klar: Die Altmeisterin der Mode, die wie immer alles zusammenfasst und weiterdreht, will mit ihrer Kleidung alle ansprechen, vom Kind bis zum Erwachsenen. Jeden Morgen müsse sie sich entscheiden, sagt die Vierundsiebzigjährige lachend, ob sie eine Fünfzehnjährige sei oder eine alte Frau kurz vor dem Ende.
Man sieht die Vielfalt auf dem Laufsteg im Palais d’Iéna: Anklänge an Schuluniformen, dann Lehrerinnenkostüme, dann Großmutters Pelzjacke (aber aus politisch korrektem Lammfell), knitternde Cocktailkleider, übergroße Skijacken. Der Trend geht zu ladylike, mit langen Mänteln, Perlenketten und der Lederhandtasche unterm Arm.
Die Mini-Miniröcke und bauchfreien Oberteile der letzten Saisons sind ihr jetzt zu kurz gedacht. Den Influencerinnen boten sie eine wunderbare Spielfläche für Sixpacks und durchtrainierte Oberschenkel. Eine letzte Erinnerung an diese Freizügigkeiten: geschrumpfte Proportionen mit gekürzten Ärmeln, die schon am Ellbogen enden, und wippende Röcke, die nicht mehr Minirock und noch nicht richtig Cocktailkleid sind.
Miuccia Prada will alle abdecken und einkleiden. Man sieht es an den Models. Über den Laufsteg gehen nicht nur Gigi Hadid und Loli Bahia. Kristin Scott Thomas feiert mit 63 Jahren ihr Debüt, auf den Brettern, die nicht die Welt bedeuten. Die spanische Schauspielerin Ángela Molina, 68 Jahre alt, lässt sich ebenfalls feiern. Und Qin Huilan, eine Ärztin aus Schanghai, wurde gecastet, weil sie sich auf Instagram als Prada-Fan geoutet hatte. Seit ihr Sohn ihr geholfen habe, sich bei Instagram anzumelden, schreibt die Siebzigjährige, „habe ich die Tür zu einer neuen Welt geöffnet“ – also zum Miu-Miu-Laufsteg, den sie würdig abschreitet, bei der Schlussrunde allerdings mit viel zu viel Abstand zur Vorderfrau, vermutlich weil sie dieses Tempo einfach nicht erwartet hat.
Miuccia Prada lacht jeden Trend aus
Die Altmeisterin aus Mailand musste den Modemachern beim Prêt-à-porter in Paris, das am Mittwoch nach acht Tagen zu Ende ging, mal wieder zeigen, wie es geht. Miuccia Pradas Stil lacht jeden Trend aus. Bis zur letzten Minute schaut sie, was in Mailand und Paris vor sich geht, um es dann anders zu machen.
Erstes Beispiel: Schlaghosen. Sie breiten sich immer weiter aus: Designerin Chemena Kamali läuft mit weiten Jeans, unten abgeschnitten, bei ihrem umjubelten Debüt für Chloé über den Laufsteg; Schauspielerin Johanna Wokalek steht nach der Schau von Akris im weiten Faltenrock beim Champagnerempfang, der sich erst in der Bewegung als überweite Leinen-Gabardine-Hose aus der Frühjahrskollektion entpuppt; Influencerin Xenia Adonts kommt zu Chanel mit einer Jeans, deren Bein so breit endet wie der Fesselbehang eines Kaltblüters. Und Miu Miu? Keine Schlaghosen!
Zweites Beispiel: Transparenz. Das ist wohl nur ein Paris-Trend, der sich nicht durchsetzen wird, nicht einmal bei den Billigheimern an Zeil, Schildergasse oder Kaufingerstraße. Für die Oscar-Feiern am Sonntag sind See-through-Looks auch nichts. Die Zielgruppe ist klein. Vor der Schau von Saint Laurent offenbart sich zum Beispiel Madonnas Tochter Lourdes im Spitzen-Catsuit. Diese Obsession von Saint-Laurent-Designer Anthony Vaccarello: durchschaubar! Und Miu Miu? Nein zum Nichts!
Drittes Beispiel: Overknee-Stiefel. Zu sehen bei Chloé, Fendi, Gucci, ja, sogar bei Chanel. Und bei Miu Miu? Niente!