Mit siebzehn, unter dem Eindruck des ersten Weltraumflugs eines Menschen, schrieb er 1961 das Klavierstück „Kosmos“, und viele Jahre später lieferte Péter Eötvös dazu eine Erzählung nach: „Es war kein Urknall, sondern eine Wiedergeburt. Das Universum ist kontinuierlich. Ein Übergang.“ Auf der leeren Fläche – in einem Video ist es zu sehen – zeichnet er dazu einige Flecken und zieht Verbindungslinien: Die Galaxien, die Sterne, die Planeten, die Erde. „Und hier kommt Transsylvanien und eine Melodie von Bartók. Und dann beginnt es von neuem.“ Vor den Augen des Betrachters entsteht in wenigen Zügen die Kosmogonie eines Heranwachsenden, erzählt aus der Perspektive des reifen Komponisten.
Die Umrisse eines künstlerischen Selbstporträts deuten sich darin an. Alle Eigenschaften, die das Denken des späteren Komponisten von großen Konzert- und Bühnenwerken prägen sollten, sind hier bereits im Kern vorhanden: Neugier und Offenheit, die erzählerische Kraft der Musik, Ich und Welt, Galaxie und Béla Bartók.
Auch „Psychokosmos“ für Cimbalom und Orchester, das erste groß besetzte Werk des 1944 in Transsylvanien geborenen Komponisten, ist ein Selbstporträt. Hier geht der Blick aber nicht zum Sternenhimmel, sondern nach innen. Wenn zu Beginn die Solostimme des Cimbalom, eingehüllt in leise Pauken- und Beckengeräusche, aus der Tiefe emporsteigt und sich dann quasi improvisierend in leuchtende Klangpunkte auflöst, treten verborgene Welten vor das innere Ohr des Zuhörers. Selten ist das ungarische Volksinstrument auf so idiomatische Weise zum Sprechen gebracht worden.
Im ungarischen Tonfall, der von Eötvös’ Musik nicht abzulösen ist, artikuliert sich eine weltzugewandte, jedem Nationalismus abgeneigte, ins Poetische überhöhte Einstellung zum nationalen Erbe. Bartók spielt darin eine wichtige Rolle, zu musikalischen Bezugspunkten werden auch die Zeitgenossen Ligeti und Kurtág.
Als Eötvös nach der Ausbildung an der Budapester Musikakademie 1966 mit einem DAAD-Stipendium zum Dirigierstudium nach Köln kam, waren diese Traditionsbezüge indes noch nicht so ausgeprägt, wohl aber bereits sein Hang zur Erforschung von Klangwelten außerhalb des engen Kanons der deutschen Avantgarde. Auch sein hintergründiger Humor und seine spielerische Neugier für alle Arten von Musik, nicht zuletzt den Jazz.
Karlheinz Stockhausen wurde sein Mentor
Zu seinem Mentor in Köln wurde Karlheinz Stockhausen. Er förderte seine künstlerische Entwicklung, ermöglichte ihm den Zugang zum Elektronischen Studio des WDR und nahm ihn als Keyboarder in sein Ensemble auf. Mit ihm gab er weltweit hunderte Konzerte, darunter 1970 monatelange Auftritte bei der Weltausstellung in Osaka.
Die Begegnung mit der japanischen Kultur weitete seinen Horizont nachhaltig. Sie schlug sich nicht nur in den experimentellen Werken der frühen Siebzigerjahre nieder, sondern auch in Werken des späteren Opernschaffens, darunter der Einakter „Lady Sarashina“, nach den Aufzeichnungen einer japanischen Hofdame aus dem 11. Jahrhundert und „Tri sestri“ („Drei Schwestern“) nach dem Drama von Anton Tschechow. Dieses Werk, das 1998 in Lyon in der Inszenierung des japanischen Regisseurs Ushio Amagatsu uraufgeführt und seither an über dreißig Häusern nachgespielt wurde, markierte den Durchbruch von Eötvös als Opernkomponist. Es folgte eine stattliche Zahl von Bühnenwerken, für die vielfach Maria Mezei, die Frau des Komponisten, die Libretti verfasste oder einrichtete.
Pierre Boulez ließ ihn dirigieren
Eine komplementäre Aktivität des unerhört produktiven Komponisten Eötvös war das Dirigieren. 1978 ernannte ihn Pierre Boulez zum Dirigenten des Pariser Ensemble Intercontemporain. Hier eignete er sich ein riesiges Repertoire an zeitgenössischen Werken an und erarbeitete sich eine Technik, die mit ihrer Verbindung von Präzision, freundlicher Gelassenheit und überragender musikalischer Kompetenz einzigartig war.
Dirigieren war für ihn eine hochentwickelte Kommunikationsform. „Es beruht grundsätzlich auf der Begabung, diesen Kontakt durch die Persönlichkeit – durch den Blick, die Geste, die Reaktion – herzustellen“, erläuterte er einmal im Gespräch. „Man könnte es auch Ausstrahlung nennen. Wenn jemand diese Gabe nicht besitzt, dann ist er kein Dirigent.“
In den dreizehn Pariser Jahren verzichtete Eötvös vollständig auf das Komponieren, doch sie dienten der Vorbereitung zu einer neuen künstlerisch-pädagogischen Praxis. 1991 gründete er in Budapest das Internationale Eötvös Institut für junge Dirigenten und Komponisten und machte es zu einem bedeutenden Zentrum für eine neue Musikerziehung außerhalb der in ihren Lehrgängen oft festgefahrenen Musikhochschulen. In seinen Kursen spielten neben den musikalischen und technischen die organisatorischen Fragen eine ebenbürtige Rolle.
Er selbst plante sein Arbeitsleben und die Probenabläufe mit akribischer Genauigkeit. Komponieren, Dirigieren, Musikerziehung und organisatorische Planung fielen in seiner Praxis auf beeindruckende Weise ineins. Ein riesiges Arbeitspensum, das er mit eiserner Disziplin und ohne Einbuße an künstlerischer Sensibilität bewältigte. Die Öffentlichkeit dankte es ihm mit zahlreichen internationalen Ehrungen. Am 24. März ist er in seinem achtzigsten Lebensjahr nach schwerer Krankheit in Budapest gestorben. Sein künstlerisches und institutionelles Erbe lebt aber weiter.