Seine Rückkehr aus Deutschland ist gerade zwölf Stunden her, da irritiert der türkische Präsident schon mit neuen Äußerungen über Israel und über seine Gespräche mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). In einer Rede vor dem nationalen Studentenverband forderte Recep Tayyip Erdoğan den Bundespräsidenten auf, sich während dessen geplanter Israel-Reise Ende kommender Woche für die Freilassung von „fast 10.000 Geiseln aus den Händen der Israelis” einzusetzen. Erdoğan bezog sich damit auf Palästinenser, die in Israel inhaftiert sind.
Über sie hatte er schon am Freitagabend während der Pressekonferenz mit Bundeskanzler Scholz gesprochen. Doch seine Äußerungen am Samstag gingen darüber hinaus. „Lasst Deutschland einen Schritt unternehmen, damit sie freigelassen werden“, sagte er. Im Gegenzug könne die Türkei sich dafür einsetzen, dass die Hamas die Geiseln in ihrer Gewalt freilasse. „Seid ihr dazu bereit?“, fragte er an die Adresse der Bundesregierung, und fügte hinzu: „Dazu können sie nicht ‚ja‘ sagen.“
In vielem einig
Weiter warf Erdoğan der Bundesregierung vor, Teil einer „Kreuzritter-Imperialisten-Struktur“ zu sein. „Das habe ich leider bei meinem Besuch gestern Abend auch festgestellt“, sagte er. „Ich habe das beim Präsidenten gesehen und bei dem anderen auch.“ Der andere, das war Bundeskanzler Scholz. Beide hätten in den Gesprächen die ganze Zeit nur über die Hamas gesprochen. Er selbst habe gefragt, warum man nicht über die „13.000 Kinder, Frauen und Alten“ spreche, die von Israel getötet worden seien. Weiter sagte Erdoğan, er habe Israel in Berlin abermals als Terrorstaat bezeichnet.
Sollte der türkische Präsident sich hinter verschlossenen Türen in Berlin um eine Annäherung an Deutschland bemüht haben, dürfte er mit diesen Äußerungen das Vertrauen in ihn nicht befördert haben. Dabei schien das Gespräch mit Scholz laut Berliner Regierungskreisen durchaus streckenweise konstruktiv verlaufen zu sein. So sei man sich einig gewesen, dass der Abschluss eines Friedensabkommens zwischen Armenien und Aserbaidschan noch in diesem Jahr anzustreben sei.
Einigkeit habe auch darüber geherrscht, dass durch die zügige Ausweitung der Imam-Ausbildung in Deutschland die Entsendungen von Imamen aus der Türkei schrittweise beendet werden solle, hieß es in Berlin. Mit Blick auf die hohe Zahl an Asylbewerbern aus der Türkei sei eine bilaterale Arbeitsgruppe der Innenbehörden beider Länder eingerichtet worden, die an einem Mechanismus für die Rückführung abgelehnter Asylbewerber arbeiten solle. Der Bundeskanzler habe dem türkischen Präsidenten auch zugesagt, dass Deutschland sich beim Wiederaufbau der Bildungsinfrastruktur in den Erdbebengebieten engagieren werde.