In der Affäre um die Besetzung der Spitze des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) wird die Beurteilung für die von der schwarz-grünen Landesregierung favorisierte Kandidatin aufgehoben. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass bei der Beurteilung ein Formfehler unterlaufen sei, teilte die nordrhein-westfälische Innenstaatssekretärin Daniela Lesmeister (CDU) am Donnerstagabend überraschend mit.
Die Kandidatin ist als Abteilungsleiterin im Innenministerium tätig und hatte in ihrem Zeugnis für die Bewerbung auf den Präsidentenposten des OVG ausschließlich Bestnoten von Lesmeister erhalten, obwohl diese zu dem Zeitpunkt erst seit kurzem Staatssekretärin im Innenministerium war. Erst in der vergangenen Woche hatten die beiden Oppositionsfraktionen von SPD und FDP ein gemeinsames Gutachten vorgestellt, das die Rechtmäßigkeit des Beurteilungsverfahrens infrage stellte.
Die SPD begrüßte die Entscheidung und sprach zugleich von einem „Desaster für die Landesregierung“. Das gesamte OVG-Besetzungsverfahren sei damit hinfällig. „Es fällt wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Mit dem Eingeständnis, dass die Anlassbeurteilung für die Abteilungsleiterin rechtswidrig war, ist gleichzeitig der erste Täter in diesem Justiz-Krimi entlarvt“, sagte Nadja Lüders, die Obfrau im zwischenzeitlich zu der Causa eingesetzten Untersuchungsausschuss. „Das Innenministerium hat mindestens eine Teilschuld an der gesamten Verstrickung. Es hat in dem unter Manipulationsverdacht stehenden Verfahren den ersten Baustein – eine Bestnote auf Bestellung – für die Auswahl der gewünschten Kandidatin geliefert.“
Die OVG-Affäre zieht sich schon lange hin
Mit Lesmeisters Entscheidung stehe nun alles wieder auf Anfang. „Das Besetzungsverfahren ist hinfällig. Die Vakanz des Präsidentenposten wird sich damit weiter hinziehen“, sagte Lüders. Wertvolle Jahre seien verloren gegangen. „Die schwarz-grüne Landesregierung hat sich nicht nur bis auf die Knochen blamiert, sie hat damit auch der Justiz schweren Schaden zugeführt.“ Mit der Wendung sei der Fall noch lange nicht vom Tisch. Alle, die Verantwortung für dieses Desaster hätten, würden sich dafür noch zu rechtfertigen haben. Die Arbeit des Untersuchungsausschusses habe gerade erst richtig begonnen. Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) wollte sich am Freitag äußern.
Durch die Entscheidung der Innenstaatssekretärin dürften nun die in Kürze geplanten Anhörungstermine vor dem OVG in der Sache hinfällig werden, die für Limbach höchst unangenehm hätten werden können.
Die OVG-Affäre zieht sich schon lange hin. Als Limbach im Sommer 2022 sein Amt antrat, fand er die schon seit geraumer Zeit unerledigte Personalentscheidung vor. Er führte Gespräche mit den drei Bewerbern und benannte schließlich die Juristin aus dem Innenministerium als Favoritin. Doch auf Eilantrag eines der unterlegenen Kandidaten (er ist Bundesrichter) bescheinigte das Verwaltungsgericht Münster dem Justizminister, im Besetzungsverfahren „rechtswidrig“ und „manipulativ“ gehandelt zu haben.
„Ein politisch koordiniertes Vorgehen unter Beteiligung des Ministers“
Wenig später kam das Verwaltungsgericht Düsseldorf auf Antrag des zweiten unterlegenen Kandidaten (er war damals Abteilungsleiter im Justizministerium) zwar zu einer weniger dramatischen, für Limbach aber ebenfalls nicht schmeichelhaften Einschätzung. Anfang März schien die Causa für Limbach gleichwohl ausgestanden; das nun in eigener Sache zuständige OVG gab den Beschwerden der schwarz-grünen Landesregierung gegen die beiden Beschlüsse statt, denn es gebe keinerlei Anhaltspunkte für ein manipulatives Verfahren zur Besetzung des Präsidentenamts.
Daraufhin wandte sich der unterlegene Bundesrichter mit dem Argument an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Limbach habe sich nicht nach den in Grundgesetz Artikel 33 definierten Kriterien der Bestenauswahl gerichtet, sondern nach politischer Vorfestlegung die Mitbewerberin wegen ihres Geschlechts vorgezogen. Die Verfassungsbeschwerde hatte in wesentlichen Teilen Erfolg: Das BVerfG verpflichtete das OVG zu einer neuerlichen, tiefergehenden Prüfung. Denn würden „in dem von einem unterlegenen Mitbewerber gegen die behördliche Auswahlentscheidung angestrengten Gerichtsverfahren Umstände vorgetragen, die auf eine Vorfestlegung anhand sachfremder Kriterien hindeuten, muss das Gericht diese Umstände zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes aufklären und würdigen“.
Konkret geht es um die eidesstattlichen Versicherungen des unterlegenen Bundesrichters, die sich um drei Gespräche drehen. Im September 2022 habe sich sein Parteifreund, der ebenfalls aus NRW stammende Justiziar der Unionsbundestagsfraktion, an ihn gewandt: Schwarz-Grün in Düsseldorf wünsche, dass er und der andere Interessent ihre Bewerbungen zurückzögen. Die Koalition wolle eine Frau an der Spitze des OVG. Dies sei vor allem der Wunsch der Grünen; die Unionsseite sei insoweit zufrieden, als es sich dabei um eine Frau mit CDU-Parteibuch handeln könne. Die Wahl sei auf die Juristin aus dem Innenministerium gefallen.
Zudem schreibt der unterlegene Richter in seiner ersten, vom BVerfG als „substantiiert“ bewerteten eidesstattlichen Versicherung, er habe im November 2022 mit Minister Limbach und kurz darauf mit Nathanael Liminski (CDU) gesprochen, dem Chef der NRW-Staatskanzlei. Beide hätten ihn aufgefordert, aus dem Rennen auszusteigen. Limbach habe geäußert, er sehe „einen Vorsprung“ der Bewerberin. Das BVerfG irritierte, dass Limbach zu einem Zeitpunkt einen „Vorsprung“ bei der Juristin gesehen haben soll, als deren dienstliche Beurteilung aus dem Innenministerium noch gar nicht vorlag. Sie ging erst vier Tage später ein.
Deshalb heißt es im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts: „Aus der eidesstattlichen Versicherung ergeben sich Anhaltspunkte für ein politisch koordiniertes Vorgehen mit Kenntnis und unter Beteiligung des Ministers, das mit einer Vorfestlegung anhand sachfremder Kriterien (Geschlecht und Parteimitgliedschaft) verbunden wäre.“