Es ginge um eine Perspektive, „die in der Gesundheitspolitik oft viel zu kurz kommt“, erklärte Gesundheitsminister Karl Lauterbach im Januar im Bundestag: die der Erkrankten. „Wir müssen für die Patienten etwas anbieten, was es bisher nicht in der Qualität und Form gibt, wie es benötigt wird, nämlich eine unabhängige Beratung.“ Das bestehende Beratungsangebot „Unabhängige Patientenberatung“ (UPD) soll ausgebaut und in eine Stiftung überführt werden. Das Konzept hierfür sei als „Konsensergebnis“ mit Patientenverbänden entwickelt worden. „Ich bin dankbar, dass das funktioniert hat, ohne dass es zu Streit gekommen ist“, sagte Lauterbach: Ab Januar 2024 werde „das dann laufen“.
Im März verabschiedete der Bundestag hierzu ein Gesetz. Doch weder ist es realistisch, dass eine noch zu gründende Stiftung in fünf Monaten beraten wird – noch, dass viele der rund 100 medizinisch wie juristisch beratenden Mitarbeiter der bisherigen UPD übernommen werden, wie Lauterbach es in den Raum stellte. Diesen wurden hingegen vergangene Woche intern ihre Kündigung angekündigt.
„Schäbiges Spiel“
Die Entrüstung über die Pläne Lauterbachs ist groß – speziell darüber, dass der Kassen-Spitzenverband die Stiftung nicht nur finanzieren, sondern auch gründen und wesentlich bestimmen soll. Der Minister liefere die UPD „vollständig den Krankenkassen aus“, erklären Patienten- und Verbraucherschutzverbände, die maßgeblich an dieser beteiligt werden sollten. Die Kassen seien Teil des Problems, nicht der Lösung: Viele der jährlich zuletzt gut 120.000 Beratungsfälle drehten sich um Probleme mit der Erstattung von Leistungen. Ihr Recht, einen Vorstand vorzuschlagen, wollen die Verbände wahrnehmen, sonst das Projekt aber boykottieren.
„Die Bundesregierung spielt ein schäbiges Spiel“ mit der UPD und ihren Mitarbeitern, sagt der gesundheitspolitische Sprecher der Union, Tino Sorge. Die UPD stehe vor einem Scherbenhaufen: Die Ampelkoalition werde „zum Totengräber einer unabhängigen Beratung für die Patientinnen und Patienten in unserem Land“.
Welchen Einfluss erhalten die Kassen?
Die UPD, im Jahr 2000 als Modellprojekt gestartet, wurde später von Patienten- und Verbraucherschutzorganisationen getragen. 2016 wurde eine Tochter des Gesundheitsdienstleisters Sanvartis beauftragt, sie zu betreiben. Dies sorgte bereits für Kritik, da Sanvartis auch für Pharmafirmen sowie Krankenkassen arbeitet.
Letztere sprechen sich selbst schon lange gegen die UPD in der geplanten Form aus – insbesondere da diese aus Beitragsgeldern und nicht aus Steuern finanziert werden soll, wie es praktisch alle Beteiligten fordern. Doch Lauterbach kann oder will dies gegenüber dem Bundesfinanzministerium wohl nicht durchsetzen. Der Kassenverband machte auch rechtliche Bedenken geltend, er müsse die Mittelverwendung kontrollieren können. Bei einem Gespräch mit dem Ministerium hatte er sich im Juli jedoch mit dessen Vertretern über Details geeinigt. Die internen Regeln der künftigen Stiftung würden dem Kassenverband „keinerlei Einflussnahme auf die Inhalte der konkreten Beratung im Einzelfall ermöglichen“, erklärt er.
Die Vereinbarungen sieht der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Stefan Schwartze (SPD), hingegen sehr kritisch: Teils ließen sie vermuten, dass der Kassenverband inhaltlichen Einfluss erhielte. Die Hintertürpolitik vom Ministerium sei nicht hilfreich. Die Kritik der Patientenorganisation könne er nachvollziehen. Diese seien viel zu wenig einbezogen worden, sagt etwa Gregor Bornes, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen, der früher an der Organisation der UPD beteiligt war. Beim Gesetzgebungsverfahren habe es halbstündige Termine im Ministerium gegeben, bei denen eine Staatssekretärin in rund 15 Minuten den Gesetzentwurf grob verlesen habe, anschließend hätten die Organisationen sich spontan hierzu äußern sollen.
Anfragen der F.A.Z. ließ das Haus Lauterbachs unbeantwortet. Am heutigen Mittwoch soll sich nun, in der parlamentarischen Sommerpause, der Bundestags-Gesundheitsausschuss mit der Zukunft der UPD befassen.