Sieben Grad Celsius, wärmer wird es Mitte November in Esbjerg selten. Die Nordsee, vom Zentrum der dänischen Hafenstadt in wenigen Minuten zu Fuß erreicht, bringt es noch auf etwas mehr als neun Grad. Kaum jemand käme wohl auf die Idee, ins Wasser zu springen, um sich aufzuwärmen. Und dennoch soll mit dem Seewasser künftig etwa die Hälfte aller Haushalte beheizt werden, die an das Fernwärmenetz der Region angeschlossen sind. Möglich machen das zwei Großwärmepumpen aus der Schweiz und der Strom aus den Windkraftanlagen vor der Küste.
Fernwärme hat in Dänemark eine lange Tradition. Die ersten Rohre verlegte Esbjerg im Jahr 1917, um ein öffentliches Badehaus mit heißem Dampf zu versorgen, ein Abfallprodukt aus dem Elektrizitätswerk. Mittlerweile sind an das Wärmenetz, das bis zu 30 Kilometer ins Landesinnere reicht, 25.000 Haushalte angeschlossen. Die eine Hälfte des dafür benötigten Warmwassers erzeugt eine Müllverbrennungsanlage, die andere ein Steinkohlekraftwerk, das im kommenden Jahr abgeschaltet werden soll. „Es war schon im Jahr 2016 absehbar, dass wir eine Alternative zur Kohle brauchen“, erläutert Esbjergs Bürgermeister Jesper Frost Rasmussen. Der ist Ingenieur und führte bis zu seiner Wahl die Geschäfte des städtischen Versorgungsunternehmens Din Forsyning.
Zunächst habe man über ein reines Biomasse-Kraftwerk nachgedacht, doch dann sei die Wahl auf eine flexible Lösung gefallen, mit der man den vor der Küste erzeugten Windstrom nutzen könnte. Und so entstand das 2019 verabschiedete Konzept: Die auch im Sommer benötigte Grundlast übernimmt ein Müllheizkraftwerk, zwei voneinander unabhängig regelbare Großwärmepumpen heizen zusätzlich einen Großwärmespeicher auf, und an besonders kalten Tagen arbeitet ein Biokraftwerk zu, es verarbeitet Holzhackschnitzel aus Nordeuropa. Ist besonders viel billiger Strom im Angebot, wirft der Versorger zusätzlich eine Art Tauchsieder an, meterhoch und mit 40 Megawatt elektrischer Leistung ausgestattet. Für den Notbetrieb stehen außerdem einige Diesel-Gasmotoren bereit.
Wärme aus 4000 Liter Meereswasser je Sekunde
Für Claus Nielsen, Projektleiter von Din Forsyning, begann mit der Entscheidung eine intensive Suche nach geeigneten Lieferanten. Zwar gab es auch damals bereits Anbieter von großen Wärmepumpen und Wärmetauschern, doch noch niemand hatte in einer Anlage so großen Mengen Seewasser – 4000 Liter je Sekunde – die Wärme entzogen. Außerdem arbeiteten zu jenem Zeitpunkt fast alle Großwärmepumpen mit synthetischen Kältemitteln. Da Esbjerg jedoch direkt an der Schutzzone Wattenmeer liegt, sollten keine für die Umwelt schädlichen Chemikalien zum Einsatz kommen.
Fündig wurde Nielsen schließlich in Zürich bei einem Tochterunternehmen von MAN Energy Solutions. Ursprünglich baute es nur Verdichter für Erdgasleitungen im Meer, die über viele Jahre wartungsfrei im Salzwasser arbeiten müssen. Die Technik ist auch für große Wärmepumpen zu nutzen, die mit Kohlendioxid als Kältemittel arbeiten. „Kohlendioxid ist für uns perfekt“, erläutert Nielsen, „denn sollte es durch einen Unfall ins Meerwasser gelangen, ist das nicht anders, als würden wir Sauerstoff in die Luft ablassen.“ Lediglich einige Schutzmaßnahmen für Arbeiter und Besucher sind notwendig, denn im Fall einer Leckage würde das Gas in Sekunden den Sauerstoff in einem geschlossenen Gebäude verdrängen.