Es könnte ein normaler Tag sein. Vor einer Werkstatt wischt sich ein Mechaniker die ölverschmierten Finger an seinem Unterhemd ab und raucht eine Zigarette. Jugendliche bahnen sich auf Motorrollern mit so kunstvollen wie riskanten Überholmanövern den schnellsten Weg zu ihrem Ziel. Eine verschleierte Frau trägt Einkäufe über die Straße.
Dass doch etwas anders ist als sonst, bemerken die Leute, die hier leben. „Normalerweise ist mehr los. Die ersten gehen weg von hier“, sagt Kassem, der das Familienauto durch die abgasgrauen Häuserschluchten steuert, die in den südlichen Vorstädten von Beirut die Szenerie prägen. „Aus dem Süden sind sie schon weggegangen“, wirft seine Frau vom Rücksitz ein. „Die Zeit ist noch nicht reif für den großen Krieg“, entgegnet Kassem. Trotzdem lebt er derzeit lieber etwas außerhalb. Sie holen nur ein paar Sachen, besuchen Verwandte. Sicher ist sicher.
Überall, wo die Hizbullah herrscht, wo die sonnengebleichten Bilder ihrer „Märtyrer“ hängen, oder die ihrer Anführer, wird der drohende Krieg mit Israel als Erstes ankommen. Als der jüngste Waffengang von 2006 vollends entfesselt wurde, schlugen im Süden Beiruts, in Dahiyeh, wie es hier heißt, israelische Bomben ein. Hier werden Operationszentralen und Kommunikationseinrichtungen der von den iranischen Revolutionswächtern gesteuerten Organisation vermutet, die in Dahiyeh ebenfalls eine diskrete Präsenz unterhalten. Im Süden Beiruts haben auch die Gesandten der Hamas ihren gut gesicherten Sitz, deren Terrorkommandos mit den Massakern, die sie am 7. Oktober in Israel anrichteten, eine Mechanik der Gewalt in Gang gesetzt haben, die leicht zu einem regionalen Krieg führen kann.
In den Alltag kriecht die Nervosität
Auf Libanon scheint der Krieg zuzurollen wie ein Güterzug in einer langgestreckten Kurve – langsam, aber schwer zu stoppen, wenn er erst einmal Fahrt aufgenommen hat. Die Eskalationsgeschwindigkeit hat in der vergangenen Woche zugenommen. Der Süden des Landes, wo die Hizbullah ebenso herrscht, wird täglich von Kämpfen zwischen Hizbullah-Kämpfern, ihren palästinensischen Waffenbrüdern und dem israelischen Militär erschüttert. Lenkraketen, Artilleriefeuer, israelische Drohnenschläge, alles das ist dort Alltag. Die Dörfer im Grenzgebiet haben sich schon geleert. Neue „Märtyrer“ werden begraben. „Wenn Gott will, werden wir uns wiedersehen, betet für mich“, steht auf einem an die „geliebten Kinder“ gerichteten Brief, der an der Tür eines verlassenen Hauses gefunden wurde.
Doch auch anderswo ist die Sorge längst angekommen. In den Alltag der christlichen Ausgeh- und Oberschichtenviertel kriecht die Nervosität. Der Dauerstau im Berufsverkehr mag nervtötend sein wie immer. Doch mancher fängt langsam an, sich Vorräte an Lebensmitteln und Wasser anzulegen, sowie eine Notreserve an Treibstoff. Und die Stimmung in Bars oder an Restauranttischen wirkt oft gedämpft. Viele bleiben derzeit lieber zu Hause, verfolgen im Fernsehen die Berichte von den Kämpfen an der Südgrenze. Wird es bei den Scharmützeln bleiben? Kann man es einfangen, wenn es weiter eskaliert?