Die Spitzenämter einer Regierung werden nicht im offenen Auswahlverfahren vergeben, und das aus guten Gründen: Sie sind kein Ausbildungsberuf, in dem man für eine Karriere nur gute Zeugnisse braucht – es kommt auch stark auf Parteiloyalität an. Denn ohne stabilen Rückhalt einer Parlamentsmehrheit stünde die Regierung auf verlorenem Posten. Trotzdem kommt es für deren Erfolg auch auf fachliche und andere Eigenschaften des Spitzenpersonals an.
Die internationale Managementberatung Horváth hat die aktuelle Bundesregierung nun nach diesen Maßstäben in einer Studie näher untersucht und gelangt zu einem skeptischen Urteil. Der Regierung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) und ihren Ministerien „fehlt Fachwissen und Praxiserfahrung“, so ihr Fazit. Sie stützt es vor allem auf diesen Befund: Unter den Leitungskräften des Regierungsapparats hat nur eine Minderheit von einem Fünftel ein wirtschaftswissenschaftliches Fach studiert und nicht einmal 5 Prozent ein naturwissenschaftlich-technisches. Es dominieren hingegen Politik- und andere Geisteswissenschaftler (gut ein Drittel) sowie Juristen (gut ein Viertel).
Und es kommt ein weiterer Aspekt hinzu: Nur 42 Prozent des Leitungspersonals der Bundesregierung, also nicht einmal die Hälfte, haben zuvor auch einmal berufliche Erfahrungen in der Privatwirtschaft gesammelt. Eine Mehrheit hat also auf dem eigenen Karriereweg nur den öffentlichen Dienst und/oder die Parteipolitik erlebt. Die Analyse, die der F.A.Z. vorab vorliegt, stützt sich auf eine Auswertung der Lebensläufe von insgesamt 88 Ministern und Staatssekretären der aktuellen Bundesregierung mit Datenstand zum Jahresende 2023.
„Zwei Welten mit immer weniger Berührungspunkten“
Simon Arne Manner, Public-Experte und Partner der international tätigen Managementberatung, formuliert seine Folgerungen nicht abkanzelnd. Aber er sieht darin einen Grund, warum es derzeit mit der Umsetzung von Politik oft zu hapern scheint. Führungskräfte von Unternehmen und der Regierung bewegten sich mittlerweile in „zwei Welten mit immer weniger Berührungspunkten“, sagt er. „Wir müssen hier dringend Brücken bauen, um die notwendigen Transformationen, von Energiewende bis hin zu Automation und künstlicher Intelligenz, gemeinsam zu meistern.“ In der politischen Realität stehe jedoch „die Regulierung rechtlicher Details im Vordergrund, und die Bürokratie nimmt weiter zu“.
Wenn bei der Auswahl des Spitzenpersonals demokratische Prozesse und Parteipolitik eine Rolle spielen, wird es zwar schwieriger, andere Eigenschaften bei der Besetzung von Leitungspositionen zu berücksichtigen. Dies gilt aber offenkundig nicht für alle anderen Anforderungen gleichermaßen. Trotz dieser Restriktionen ist die Regierung dem Ziel einer Gleichverteilung der Geschlechter auf den obersten Führungsebenen schon sehr nahe: Unter den 88 Leitungskräften waren 41 Frauen und 47 Männer. Damit unterscheidet sich die Regierungswelt in anderer Weise von jener der Wirtschaft. Für die Vorstände 100 großer Unternehmen ermittelte die Fraueninitiative Fidar e.V. kürzlich einen Frauenanteil von 20,6 Prozent.
Weniger günstig sieht es indes mit dem Regionalproporz auf der Leitungsebene der Regierung aus, wie die Horváth-Analyse zeigt. Von den 88 Ministern und Staatssekretären stammen nur 8 Prozent aus dem Osten Deutschlands, obwohl dort 15 Prozent der Bevölkerung leben. Demgegenüber sind Leitungskräfte aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Baden-Württemberg klar überrepräsentiert. Ganz anders verhält es sich indes derzeit auch mit Bayern: Obwohl 16 Prozent der Bevölkerung im Freistaat leben, kommen nicht einmal 7 Prozent der Leitungskräfte der Bundesregierung von dort. Es lässt sich wohl vor allem damit erklären, dass die CSU in Berlin nicht mehr mitregiert.