Es ist Vorsicht geboten mit schnellen Urteilen über das, was im Gazastreifen derzeit passiert. Gut möglich, dass noch nicht einmal die israelische Armeeführung genau weiß, was sich in den frühen Morgenstunden am Donnerstag an der Küstenstraße nach Gaza-Stadt zutrug.
Die Dynamik in Kriegsgebieten, wo schwerbewaffnete Soldaten Zivilisten gegenüberstehen, von denen sie nicht wissen, ob Terroristen darunter sind oder nicht, ist von außen kaum nachzuvollziehen.
Ein schwer erträgliches Ausmaß
Sicher ist jedenfalls, dass sich ein menschliches Drama von schwer erträglichem Ausmaß abgespielt hat. Dabei ist es nachrangig, wie viele der Toten durch israelische Kugeln starben und ob diese aus Panik abgefeuert wurden oder in dem Willen, gezielt zu töten.
Fakt ist, dass die humanitäre Lage im Norden des Gazastreifens so verheerend ist, dass Tausende Menschen Hilfskonvois plündern und ihr Leben im Gedränge riskieren, um einen Sack Mehl zu ergattern. Für diese Lage trägt Israel mit Verantwortung, zumal keine andere Macht mehr da ist, die für Ordnung sorgen könnte.
Die Armee weiß, wie viel Wut manche Soldaten in sich tragen
Unisono beklagen Hilfsorganisationen, dass viel zu wenig Lastwagen in den Norden des Gazastreifens gelangen. Dahinter muss kein großer Plan stehen. Oft liegt es an Einzelentscheidungen, dass ein Konvoi an der Grenze gestoppt wird oder ein Kommandeur im Kampfgebiet keine Durchfahrt gewährt. Einige Entscheidungen mögen begründet sein, andere vom persönlichen Wunsch nach Rache geleitet.
Doch auch hier trägt Israels Armeeführung Verantwortung: Sie weiß, wie viel Wut ihre Soldaten nach dem 7. Oktober und angesichts von mehr als hundert Geiseln, die weiter im Gazastreifen gefangen gehalten werden, in sich tragen. Gerade in dieser Situation muss die Führung klare Regeln aufstellen und dafür sorgen, dass diese befolgt werden, egal, ob es um humanitäre Hilfe geht oder den Schutz von Zivilisten im Kampfgebiet. Auch deshalb ist es wichtig, dass Vorfälle wie das Drama an der Küstenstraße von Gaza transparent und unabhängig aufgeklärt werden.