Nicht erst seit „Bares für Rares“ weiß die Allgemeinheit, was Porzellan so richtig wertvoll macht: Perfektion. Um diese festzustellen, schauen die Händler der ZDF-Fernsehshow nicht nur ganz genau hin. Selbst „80-Euro-Waldi“ (Walter Lehnertz), der sonst eigentlich eher auf Trödel spezialisiert ist, klopft und streichelt dann die meist schon vor langer Zeit gebackenen Stücke, um Sprünge und feinste Risse zu hören und zu fühlen. Was bei seinen Kollegen stets zu einiger Beunruhigung führt, denn der Mann aus der Eifel ist eher grobmotorisch veranlagt.
Was Perfektion bedeutet, wissen die Verantwortlichen der mehr als 275 Jahre alten Porzellan Manufaktur Nymphenburg nur zu gut. Sie ist ihr Geschäft, gewissermaßen. Und das seit Kurfürst Max III. Joseph in seinem „Grünen Schlössl“ in Neudeck bei München die kurfürstliche Manufaktur einrichten ließ. Auch der Künstler Rolf Sachs hat sich mit Perfektion schon vielfach auseinandergesetzt. Sie war auch Teil seiner „Typisch deutsch?“-Ausstellung, die vor zehn Jahren im Museum für Angewandte Kunst Köln (MAKK) zu sehen war. Zwar nicht im eigentlichen Wortsinn, sie schwang aber in so deutschen Begriffen wie Genauigkeit, Pflichtbewusstsein, Pünktlichkeit oder auch Sorgfalt mit.
Jedes Wort interpretierte Sachs in seiner Schau, indem er ihm einen Gegenstand zur Seite stellte, ein Objekt, das er eigens geschaffen hatte, oder auch eine Installation. Pflichtbewusstsein etwa bestand aus fünf Mülltonnen. Damit thematisierte er zum einen die Begeisterung der Deutschen fürs Recycling. Zum anderen aber waren es eben keine gewöhnlichen Abfallbehälter für Plastik, Papier und Glas, sondern für Schadenfreude, Sturheit, Intoleranz, Neid und Spießigkeit. Auch das sind ja Eigenschaften, die den Deutschen gerne nachgesagt werden.
Das rechte Maß kennen
Die Liebe zum Bier ist ebenfalls typisch deutsch. An ihr kam Sachs natürlich auch nicht vorbei. Und so kreierte der 1955 in der Schweiz geborene Künstler einen übergroßen Krug, der sieben Liter fasst. Rein äußerlich ist es dennoch unverkennbar ein Bierkrug, wie man ihn aus den Festzelten beim Oktoberfest kennt. „Die/Das Maß“, so der Titel, ist allerdings ein Gefäß aus feinstem weißen Porzellan. Gefertigt in der Manufaktur Nymphenburg. Die Krüge aus Glas, so Sachs, würden oft ungestüm verwendet. In diesem Fall sei das nicht möglich, weil zu leicht zerbrechlich. Man muss also das rechte Maß kennen, beim Einsatz dieses Gefäßes, das zur Mäßigung gemahnt.
Auch bei seiner neuen Nymphenburg-Kollektion spielt Perfektion eine Rolle. Genauer: Unperfektion. Denn, so der Achtundsechzigjährige, Perfektes wirke oft ein wenig steril. „Ich habe Makel immer mehr geliebt.“ Ein Affront, könnte man meinen, für eine Manufaktur, die seit 1800 am Schloss Nymphenburg ihren Sitz hat. All das, wofür sie stünden, werfe Sachs über den Haufen, schreiben die Nymphenburger, allerdings mit einer Herangehensweise, die eine Balance zwischen Faire und Laissez-faire darstelle. „In seiner neuen Kreation für Nymphenburg wird Porzellan mit Verve geknetet, mit Intuition und Mut geformt, mit Spontaneität gebogen und gedrückt. Ein Affront? Eine Liebeserklärung!“
Es ist eine mit Rissen und Fingerabdrücken. Sachs geht es darum, das Material mit den Händen zu spüren. Ihm eine willkürlich anmutende Form zu verpassen, so dass aber am Ende die Funktion erhalten bleibt. Denn die gedrückten und fast zerdrückten Würste sind Kerzenleuchter. Der Name dieser Unikate: Berührung. Für Sachs sind sie ein bewusster Bruch mit dem heutigen Perfektionismus als allgemeinem Maßstab.
Die Arbeit solle dazu anregen, die Unvollkommenheiten anzuerkennen – und zu zelebrieren. Für den Künstler Sachs steht seit jeher die Auseinandersetzung mit den Menschen im Mittelpunkt. „Je exzentrischer wir sind, desto mehr zeigen wir von unserem Charakter“, sagt Sachs und fordert dazu auf, Makel nicht länger zu verstecken, sondern mit ihnen zu leben und sie sogar zu genießen. Ob das die Deutschen allerdings so gut können wie der Rest Welt, darf bezweifelt werden.